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Vater werden ist nicht schwer, Vater sein...
#1
Nachdem ich vor 3 Jahren hier

http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...p?tid=5531

eingestiegen bin, möchte ich auch noch gerne etwas zu diesem Werdegang bis dahin erzählen.

1.) Mein Elternhaus

An dem Tag, es ist ein paar Dekaden her, als ich einem Kreiskrankenhaus im Wiehengebirge geboren wurde, verließ der
letzte amerikanische Soldat vietnamesischen Boden.

Ich bin der jüngste Sproß von insgesamt drei Kindern meiner Eltern. Mein Vater war freiberuflicher Versicherungsvermittler und meine Mutter, mit kaufmännischer Ausbildung, war Hausfrau. Meine Eltern haben einander zweimal geehelicht. Ich war sozusagen das Versöhnungskind und wurde genau zwischen diesen beiden Eheschliessungen geboren.

Rückblickend kann ich sagen, daß ich bis etwa zu meinem sechsten Lebensjahr eine wirklich glückliche und erfüllte Kindheit hatte. Meine Mutter kümmerte sich rührend um meine ältere Schwester und mich. Zu meiner Schwester hatte ich quasi von Beginn an eine Art Hassliebe. Wir konnten uns oft nicht gegenseitig leiden und konnten doch nicht ohne einander sein. Sie hat seit der Geburt eine geistige Behinderung, allerdings war diese nicht so ausgeprägt, das mich das als Kind irritiert hätte. Mein Vater war berufsbedingt selten zu Hause, meistens nur am Wochenende und selbst dann ging er noch "auf Achse". Mein Bruder war schon einige Jahre älter als ich und ging schon oft seiner eigenen Wege. Wir wohnten in einem grossen Haus und der Garten war so riesig, das wir mit der ganzen Familie drei Tage benötigten, um den gemähten Rasen abzuharken. Jedes Kind hatte ein eigenes Zimmer. Wir hatten eine gutmütige Bernhardinerhündin, mit der ich gerne und oft spielte und die mich und meine Schwester im Winter auf dem Schlitten hinter sich her zog.

Im Sommer gingen wir, mein Vater, meine Mutter, meine Geschwister und ich, oft im Wald spazieren. Auf der Fahrt zu unserem Startplatz am Waldrand sass die Bernhardinerin zusammen mit mir im Fond des Dreier BMW's meines Vaters und speichelte mir bei grosser Hitze mit ihrem kühlen Drüsensekret sabbernd und hechelnd das Gesicht und die Kleidung voll. Man wird es mir daher wohl nachempfinden können, wenn ich auf diese gelegentlichen Ausflüge wenig wert legte. Wenn ich bei den langen Wanderungen müde wurde, durfte ich auf den Schultern meines Vaters Platz nehmen und meine Beine über seine Brust baumeln lassen.

Der Kontakt mit unseren Nachbarn war sehr herzlich,  ich durfte fast jederzeit an jedes Haus unserer Straße klopfen und wurde von älteren Damen mit Gummibärchen, Keksen oder geistiger Nahrung in Form von nettem Plausch und Dorftratsch gefüttert. Der Landwirt direkt von nebenan nahm mich mit in die Ställe, wo ich beim Füttern half oder mir von seiner Frau in der Stube Geschichten vorlesen lies. Oft gab es abends nach dem Melken der Kühe im Kuhstall einen Schlag frische Kuhmilch direkt aus der Kelle. In der näheren Umgebung konnte man stundenlang über die Wiesen und Felder umherstreifen. In den angrenzenden Straßen wohnten zwei, drei gleichaltrige Kinder, mit denen ich mich regelmässig traf und spielte und gelegentlich auch mal raufte.

Der Umgang mit meiner Mutter war wie schon gesagt, herzlich. Bei meinem Vater war das allerdings anders. Er war oft beruflich unterwegs und in seiner Freizeit feierte er gerne oder ging mit seinen Freunden aus. Wenn er es am Abend vorher mit dem Feiern übertrieben hatte und das war regelmässig der Fall, dann hatte er einen gewaltigen Kater und war entsprechend schlechter Stimmung. Man begegnete ihm dann besser nicht. Mit der Zeit hatte ich Übung darin, ihm nicht zu häufig zu begegnen und wenn wir doch zusammen waren, dann erkannte man schnell an dem Gesichtsausdruck der Geschwister und der Mutter, an der allgemeinen Stimmung, das es jetzt besser war, unauffällig in den Hintergrund zu treten. Genau betrachtet, herrschte unter uns Kindern oft eine Atmosphäre der Angst, wenn mein Vater zugegen war. Er war, besonders wenn er eine lange Nacht hinter sich hatte, leicht reizbar und wurde schnell laut und dann und wann auch mal handgreiflich.
Meine älteren Geschwister wurden häufiger das Opfer seiner Übellaunigkeit als ich und kassierten hier und da aus völlig banalen Anlässen eine Ohrfeige, ich selber hatte aber wohl auf Grund meines kleinkindlichen Alters wohl noch so etwas wie einen "Welpenschutz". Meine Mutter mußte häufig dazwischengehen und bekam genauso hier und da auch mal etwas ab.
Er hatte aber auch durchaus Momente, in denen mein Vater verständnis- und liebevoll war und sich viel Zeit nahm, um mir, seinem kleinen Jungen, die Welt zu erklären. Bedauerlichweise waren die Momente so selten, das ich mich heute noch so genau daran erinnern kann, als hätte ich sie gestern erlebt.

Meine Mutter und mein Vater hätten gegensätzlicher nicht sein können. Sie stammte aus einer Bergarbeiterfamilie in Schlesien, welches heute zu Polen gehört. Ihr Vater war gebürtiger Berliner und von Beruf Gärtner. Ihre Mutter, aus Schlesien stammend, war Näherin. Mein Großvater mütterlicherseits war 1945 als Panzerschütze und Gefreiter der Waffen-SS im Zugwaggon auf der Anreise ins Kurland, um da für den GröFaZ den Endkampf auszufechten. Zum Leidwesen der mütterlichen Familie wurde der Truppentransport schon bei dem Anmarsch ins Feindgebiet unter heftiges Feuer genommen und seinem Kusin gelang es dabei nicht, meinen Grossvater zu überreden, es ihm nachzumachen, auf seinen Fahneneid zu pfeifen und die Biege zu machen.

Meine Mutter, kaum ein Jahr alt, lernte also ihren leiblichen Vater nie kennen und wurde zusammen mit ihrer älteren Schwester Halbwaise. Keine zwei Jahre später stand die Ortskommandantur unter polnischer Leitung vor ihrem Elternhaus, um selbiges in Besitz zu nehmen. Meine Großmutter und ihre mit ihr zusammenlebenden Schwestern ( Die Ehemänner und Väter alle im Krieg oder Gefangenschaft geblieben) und deren Kinder bekamen zwei Stunden zum Packen, Zehn Kilogramm Gepäck pro Haushalt, dann Abreise per Eisenbahn nach Westdeutschland. Meine Oma und ihre Schwestern entschied sich für die Daunenbetten. Es war Winter und bitterkalt. Danach folgte eine dreitätige Reise nach Westen in ein Auffanglager für Flüchtlinge im heutigen Niedersachsen. Auf die Reisebedingungen will ich hier gar nicht erst näher eingehen. Ich weiß nur soviel, das es es in dem Waggon drei Tage lang dunkel geblieben sein soll und einen Eimer für ein paar Dutzend Personen für die Notdurft gab. Die ersten beiden, harten Winter in Westdeutschland überstanden Tanten, Grossmutter und Kinder Kälte und Hunger mit Zähigkeit und übermenschlicher Anstrengung. Sie verdingten sich als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Auch die Kinder. An ihrem 3. Weihnachtsfest erhielt meine Mutter einen Apfel und ein paar durchgebrochene Buntstifte. Die andere Hälfte der Buntstifte bekam ihre ältere Schwester.
"Du Mama. Wenn Papa tot ist kauf ich mir meinen eigenen Ponyhof!" - CosmosDirect Lebensversicherung, 2007

Quelle: http://de.wikiquote.org/wiki/Vater
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Vater werden ist nicht schwer, Vater sein... - von Sixteen Tons - 20-01-2015, 00:10

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