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Interessante Besprechung des neuen Jane Austen Films
#1
Unter diesem Link gibt es eine interessante Besprechung der neuen Jane Austen-Verfilmung "Love & Friendship"

Die Ökonomie der Romantik

Zitat:Untertitel:
Whit Stillmans Jane Austen-Verfilmung Love & Friendship spiegelt unsere Geschlechterpolitik überraschend gut wieder

Dem Schluß des Autors kann ich zustimmen:

Zitat:[...]
Es wirkt pompös, wichtigtuerisch und komisch, wenn Sir James, Kuckucksvater mit Ansage, darüber räsonniert, dass eine Frau unfähig zum Betrug sei. Seine Position entspricht aber den Positionen, die heute in der politischen Diskussion um Scheinvaterschaften von Männern vertreten werden, die nicht etwa den Betrug von Frauen, sondern das Misstrauen von Männern verurteilen.

Dass Frederica davon redet, Lehrerin und selbstständig werden zu wollen, ist nicht Austens Text entnommen, sondern wird im Film hinzugefügt. Sie möchte sich gern als selbstständige junge Frau sehen, ohne aber etwas dafür zu tun – genauer: Wir möchten sie heute als selbstständige junge Frau sehen, sind aber gar nicht so genau daran interessiert, was für diese Selbstständigkeit eigentlich nötig ist.

Das ist dann schon eine Projektion heutiger Geschlechterphantasien in Austens Kosmos, die dort aber gut hineinpasst. Der Wunsch ist ja wichtig, Frauen ebenso wie Männer als selbstständige Menschen sehen zu wollen – nur gehört eben die Frage nach der realen, ökonomischen Basis dieser Selbstständigeit dazu.
Das Bundesfamilienministerium hat beispielsweise gerade eine Studie veröffentlicht, nach der im Durchschnitt ein Mann im Laufe des Lebens etwa doppelt so viel Geld erarbeitet wie eine Frau.

Das Ministerium kommt gar nicht auf die Idee, zu diesem Anlass nach der ökonomischen Basis der Selbstständigkeit zu fragen. Statt dessen werden die Daten dort im Sinne des romantischen Damsel in Distress-Motivs interpretiert und als Hinweis als Diskriminierung von Frauen in einer feindlichen Männerwelt interpretiert.

Heute wie zu Austens Zeiten spiegeln solche Geschlechterbilder die Lebenswirklichkeit nur eines Teiles der Bevölkerung – sie prägen aber weitgehend die Politik. Wenn staatliche Institutionen zu Tausenden, in Gleichstellungsstellen, Frauenhäusern oder Gender Studies-Lehrstühlen, mit der Sorge für Frauen befasst sind, die Männer aber für sich selbst sorgen lassen: Dann agiert der Staat wie ein Super-Mr.Darcy.

Wenn ein Ministerium familiäre Gewalt gegen alle seriösen Studien allein als Gewalt von Männern gegen Frauen interpretiert, dann reproduziert es damit eben die Geschlechterbilder, die bei Austen noch Karikaturen waren: die Frau als hilflos-zerbrechliches Geschöpf, der Mann als unempfindlicher tumber Tor.

Es täte dieser Politik offenbar gut, wenn sie nicht nur die Gesellschaft verändern wollte, sondern ab und zu auch einmal misstrauisch gegenüber sich selbst wäre – wenn sie also ab und zu überprüfen würde, ob sie nicht an eben den romantischen Geschlechterbildern kleben geblieben ist, die sie mit überlegenem Gestus auf das Konto einiger rückständiger, ewiggestriger und anti-emanzipatorischer alter weißer Männer verbuchen möchte.

Es täte ihr auch gut, sich weniger auf Repräsentationen zu konzentrieren (Wie werden Frauen in der Werbung dargestellt? Ist die grammatikalische Struktur unserer Sprache sexistisch? …) und stärker auf die ökonomische Basis, auf der Menschen leben und die sie sich fortlaufend erarbeiten müssen.

Ganz gewiss täte es ihr gut, einmal den Gedanken durchzuspielen, dass diese ökonomische Basis nicht allein von Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterdrückung, sondern von pragmatischen Zwängen strukturiert wird, denen die so starken Männer nicht weniger unterliegen als die Frauen, die des staatlichen Schutzes angeblich so dringend bedürfen.

Ganz knapp formuliert: Die Geschlechterverhältnisse, über die sich Jane Austen schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts lustig gemacht hat, werden heute in Deutschland – und nicht nur dort – als unverzichtbare Orientierungen einer progressiven, emanzipatorischen Politik verkauft. Es wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit nützlich, wenn sich daran einmal etwas ändern würde.

Hervorhebungen durch mich.

Simon II
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