16-08-2008, 12:09
Unterhaltsverzicht kann sittenwidrig sein
Mittelbare Benachteiligung der nach Deutschland zugezogenen ausländischen Ehefrau ausreichend
Vom 01.06.2007
LAMPERTHEIM In den vergangenen drei Jahren seit seiner Grundsatzentscheidung vom 11. Februar 2004 hat der Bundesgerichtshof zahlreiche Urteile zu der Frage gefällt, wann Eheverträge noch als wirksam angesehen werden können und wann sie wegen Sittenwidrigkeit unwirksam sind. Hierbei geht es immer um das Problem, in welchem Umfang von den gesetzlichen Regelungen des Scheidungsfolgenrechts durch Vertrag abgewichen werden kann.
(...)
Jüngstes Beispiel ist das gerade veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. November 2006 (Aktenzeichen XII ZR 119/04; im Internet unter http://www.bundesgerichtshof.de). In diesem Rechtsstreit ging es um Folgendes: Im Rahmen des Ehescheidungsverfahren begehrt die 1960 geborene Ehefrau nachehelichen Unterhalt wegen Krankheit. Sie schloss mit dem 1948 geborenen Ehemann am 14. April 1997 in Mainz einen notariellen Ehevertrag und tags darauf dort auch die Ehe. Die Ehefrau war damals russische Staatsangehörige, Klavierlehrerin und der deutschen Sprache nicht mächtig; sie war - nachdem die Eheleute sich seit 1996 über Brief- und Telefonkontakte kennen gelernt hatten - Ende 1996 mit ihrem 1988 geborenen Sohn Sergej aus Russland mit einem Besuchervisum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Im Ehevertrag vom 14. April 1997 wählten die Parteien deutsches Recht. Für den Fall der Scheidung sollte jedoch jeglicher Grundbesitz beim Zugewinnausgleich unberücksichtigt bleiben. Außerdem schlossen die Parteien den Versorgungsausgleich aus und verzichteten wechselseitig auf Unterhalt, auch für den Fall der Not. In einem weiteren, am 15. Oktober 1997 geschlossenen notariellen Ehevertrag vereinbarten die Parteien Gütertrennung und damit den Ausschluss jedweden Vermögensausgleichs im Falle ihrer Scheidung. Die Ehefrau litt bereits bei Abschluss des ersten Ehevertrags an einer "untersuchungsbedürftigen Erkrankung" ("Skoliose und Bandscheibenproblematik"; "Sensibilitätsstörungen"), was dem Ehemann aber bekannt war. Diese Erkrankung wurde allerdings erst im Mai 1997 klinisch sicher als Multiple Sklerose diagnostiziert. Sie hatte inzwischen dazu geführt, dass die Ehefrau erwerbsunfähig und seit Oktober 1997 vollständig gehunfähig, auf einen Rollstuhl angewiesen und pflegebedürftig, ist. Die Ehefrau hat in dem Scheidungsverfahren behauptet, dass dem Ehemann die Diagnose Multiple Sklerose bereits bei Abschluss des ersten Ehevertrags bekannt gewesen sei.
Seit Oktober 2001 leben die Eheleute getrennt. Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen. Inzwischen hat die Ehefrau die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Das Familiengericht Mainz hat die Ehe geschieden, jedoch die Unterhaltsklage der Ehefrau wegen des vereinbarten Unterhaltsverzichtes abgewiesen. Das Oberlandesgericht Koblenz hat den Ehemann unter Aufhebung dieses erstinstanzlichen Urteils zur Zahlung nachehelichen Unterhalts in Höhe von monatlich 795 Euro verurteilt, im Übrigen hat es die Unterhaltsklage abgewiesen und die weitergehende Berufung der Ehefrau zurückgewiesen. Mit seiner beim Bundesgerichtshof eingelegten Revision begehrte der Ehemann, das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts Mainz wiederherzustellen. Hiermit scheiterte er jedoch, denn das Gericht erachtete den Unterhaltsverzicht, auf den sich der Ehemann in allen Instanzen berufen hatte, als sittenwidrig. Zwar können durch einen Ehevertrag von vorne herein Unterhaltsrisiken ausgeschlossen werden, etwa wenn bekannt ist, dass ein Ehegatte bereits bei Heirat krank ist. Dies gelte auch für alle anderen, nicht ehebedingten Risiken. Die (nach)eheliche Solidarität, so wie sie im Gesetz festgeschrieben ist, verlange eine Haftung für den Lebensbedarf des anderen Ehegatten in solchen Fällen nicht.
Diese Grundsätze bedeuten jedoch nicht, dass sich ein Ehegatte über einen ehevertraglichen Unterhaltsverzicht von jeder Verantwortung für seinen aus dem Ausland eingereisten Ehegatten loslösen kann. Insbesondere dann nicht, wenn dieser seine bisherige Heimat endgültig verlassen hat und in Deutschland aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse sowie aufgrund mangelnder Ausbildung oder - wie hier - auch infolge einer Krankheit, sich nicht selbst unterhalten kann. Auch wenn alle diese Umstände als solche nicht unmittelbare Folge der Ehe sind, so ist doch die konkrete Situation, in die dieser Ehegatte mit der Trennung oder Scheidung gerät, eine zumindest mittelbare Folge der Eheschließung. Dies, so der Bundesgerichtshof, sei im Ergebnis ausreichend, um eine Sittenwidrigkeit des Unterhaltsverzichtes zu bejahen.
Dies bedeutet für alle Deutschen, die einen ausländischen Staatsangehörigen heiraten wollen, der hier zunächst keine Erwerbsmöglichkeit hat, dass ein vollständiger Unterhaltsverzicht nicht mehr in Betracht kommt. Stattdessen sollte versucht werden, eine angemessene zeitliche Befristung und Begrenzung der Unterhaltsverpflichtung der Höhe nach im Rahmen eines notariellen Vertrages zu erreichen.
http://www.main-rheiner.de/region/objekt...id=2845781
Mittelbare Benachteiligung der nach Deutschland zugezogenen ausländischen Ehefrau ausreichend
Vom 01.06.2007
LAMPERTHEIM In den vergangenen drei Jahren seit seiner Grundsatzentscheidung vom 11. Februar 2004 hat der Bundesgerichtshof zahlreiche Urteile zu der Frage gefällt, wann Eheverträge noch als wirksam angesehen werden können und wann sie wegen Sittenwidrigkeit unwirksam sind. Hierbei geht es immer um das Problem, in welchem Umfang von den gesetzlichen Regelungen des Scheidungsfolgenrechts durch Vertrag abgewichen werden kann.
(...)
Jüngstes Beispiel ist das gerade veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. November 2006 (Aktenzeichen XII ZR 119/04; im Internet unter http://www.bundesgerichtshof.de). In diesem Rechtsstreit ging es um Folgendes: Im Rahmen des Ehescheidungsverfahren begehrt die 1960 geborene Ehefrau nachehelichen Unterhalt wegen Krankheit. Sie schloss mit dem 1948 geborenen Ehemann am 14. April 1997 in Mainz einen notariellen Ehevertrag und tags darauf dort auch die Ehe. Die Ehefrau war damals russische Staatsangehörige, Klavierlehrerin und der deutschen Sprache nicht mächtig; sie war - nachdem die Eheleute sich seit 1996 über Brief- und Telefonkontakte kennen gelernt hatten - Ende 1996 mit ihrem 1988 geborenen Sohn Sergej aus Russland mit einem Besuchervisum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Im Ehevertrag vom 14. April 1997 wählten die Parteien deutsches Recht. Für den Fall der Scheidung sollte jedoch jeglicher Grundbesitz beim Zugewinnausgleich unberücksichtigt bleiben. Außerdem schlossen die Parteien den Versorgungsausgleich aus und verzichteten wechselseitig auf Unterhalt, auch für den Fall der Not. In einem weiteren, am 15. Oktober 1997 geschlossenen notariellen Ehevertrag vereinbarten die Parteien Gütertrennung und damit den Ausschluss jedweden Vermögensausgleichs im Falle ihrer Scheidung. Die Ehefrau litt bereits bei Abschluss des ersten Ehevertrags an einer "untersuchungsbedürftigen Erkrankung" ("Skoliose und Bandscheibenproblematik"; "Sensibilitätsstörungen"), was dem Ehemann aber bekannt war. Diese Erkrankung wurde allerdings erst im Mai 1997 klinisch sicher als Multiple Sklerose diagnostiziert. Sie hatte inzwischen dazu geführt, dass die Ehefrau erwerbsunfähig und seit Oktober 1997 vollständig gehunfähig, auf einen Rollstuhl angewiesen und pflegebedürftig, ist. Die Ehefrau hat in dem Scheidungsverfahren behauptet, dass dem Ehemann die Diagnose Multiple Sklerose bereits bei Abschluss des ersten Ehevertrags bekannt gewesen sei.
Seit Oktober 2001 leben die Eheleute getrennt. Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen. Inzwischen hat die Ehefrau die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Das Familiengericht Mainz hat die Ehe geschieden, jedoch die Unterhaltsklage der Ehefrau wegen des vereinbarten Unterhaltsverzichtes abgewiesen. Das Oberlandesgericht Koblenz hat den Ehemann unter Aufhebung dieses erstinstanzlichen Urteils zur Zahlung nachehelichen Unterhalts in Höhe von monatlich 795 Euro verurteilt, im Übrigen hat es die Unterhaltsklage abgewiesen und die weitergehende Berufung der Ehefrau zurückgewiesen. Mit seiner beim Bundesgerichtshof eingelegten Revision begehrte der Ehemann, das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts Mainz wiederherzustellen. Hiermit scheiterte er jedoch, denn das Gericht erachtete den Unterhaltsverzicht, auf den sich der Ehemann in allen Instanzen berufen hatte, als sittenwidrig. Zwar können durch einen Ehevertrag von vorne herein Unterhaltsrisiken ausgeschlossen werden, etwa wenn bekannt ist, dass ein Ehegatte bereits bei Heirat krank ist. Dies gelte auch für alle anderen, nicht ehebedingten Risiken. Die (nach)eheliche Solidarität, so wie sie im Gesetz festgeschrieben ist, verlange eine Haftung für den Lebensbedarf des anderen Ehegatten in solchen Fällen nicht.
Diese Grundsätze bedeuten jedoch nicht, dass sich ein Ehegatte über einen ehevertraglichen Unterhaltsverzicht von jeder Verantwortung für seinen aus dem Ausland eingereisten Ehegatten loslösen kann. Insbesondere dann nicht, wenn dieser seine bisherige Heimat endgültig verlassen hat und in Deutschland aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse sowie aufgrund mangelnder Ausbildung oder - wie hier - auch infolge einer Krankheit, sich nicht selbst unterhalten kann. Auch wenn alle diese Umstände als solche nicht unmittelbare Folge der Ehe sind, so ist doch die konkrete Situation, in die dieser Ehegatte mit der Trennung oder Scheidung gerät, eine zumindest mittelbare Folge der Eheschließung. Dies, so der Bundesgerichtshof, sei im Ergebnis ausreichend, um eine Sittenwidrigkeit des Unterhaltsverzichtes zu bejahen.
Dies bedeutet für alle Deutschen, die einen ausländischen Staatsangehörigen heiraten wollen, der hier zunächst keine Erwerbsmöglichkeit hat, dass ein vollständiger Unterhaltsverzicht nicht mehr in Betracht kommt. Stattdessen sollte versucht werden, eine angemessene zeitliche Befristung und Begrenzung der Unterhaltsverpflichtung der Höhe nach im Rahmen eines notariellen Vertrages zu erreichen.
http://www.main-rheiner.de/region/objekt...id=2845781