06-08-2008, 12:35
Urteil vom 18. März 2008, Aktenzeichen 1 BvR 125/06.
Gesprochen von der zweiten Kammer des ersten Senats (Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof), also nicht die Typen die normalerweise Familienrecht sprechen. Ganz leise ging es raus, keine Pressemeldung, keine Zeitungsartikel.
Die Sachlage:
Kläger ist "gelernter Bohrwerksdreher", steht nicht weit von der Rente, seit 2000 krank, Angestellter in der Firma der Ex gewesen, arbeitete ein paar Jahre als Versicherungsmakler. Seine Darlehen kann er nicht mehr bedienen. Frau liess sich scheiden und will -wen wunderts- Geld. Sie gewinnt in mehreren Verfahren, jedes mit höherem Ergebnis. In Gotha verurteilt man den Mann schliesslich zu 622,68 EUR Ehegattenunterhalt, beim OLG Thüringen wird er zu sagenhaften 758,77 EUR verurteilt, obwohl er nur noch Teilzeit arbeiten kann. Ihm wird dafür ein fiktives Einkommen von 2600 EUR brutto unterstellt und im späteren Verfahren sage und schreibe 3067,75 € netto, er müsse beweisen dass er nur noch weniger verdienen könne (wie?). Eine lange Litanei von "müsse" und "könnte".
Das Thüringer OLG wähnt sich besonders schlau und verwirft seine Anhörungsrüge als unbegründet und zu spät. Die dachten tatsächlich, sie könnten den fiktiv 3067,75 EUR teuren Champagner wirklich trinken, den sie in ihrem Wahn aufgemacht haben. Doch der Mann gibt nicht auf: Verfassungsbeschwerde. Und die wird tatsächlich angenommen. Sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG wäre verletzt worden. Ein paar Kernsätze aus dem Urteil:
"Der ausgeurteilte Unterhalt darf nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unterhaltspflichtigen führen (vgl. BVerfGE 57, 361 <388> unter Hinweis auf 35, 202 <221>). Wird die Grenze des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen (vgl. BVerfGE 57, 361 <381>)."
"Ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG liegt selbst dann vor, wenn man dem Oberlandesgericht darin folgt, der Beschwerdeführer habe sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht nicht ausreichend um eine besser bezahlte Tätigkeit bemüht und sein Gesundheitszustand stehe einer Vollzeitbeschäftigung nicht entgegen. Denn die Zurechnung fiktiver Einkünfte, welche die Leistungsfähigkeit begründen sollen, hat neben den fehlenden subjektiven Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners objektiv zur Voraussetzung, dass die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten überhaupt erzielbar sind, was von den persönlichen Voraussetzungen des Unterhaltsschuldners wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesundheitszustand und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängig ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1995 - XII ZR 231/94 -, FamRZ 1996, S. 345 <346>). Wird einem Unterhaltsschuldner die Erwirtschaftung eines Einkommens abverlangt, welches er objektiv nicht erzielen kann, liegt regelmäßig ein unverhältnismäßiger Eingriff in seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit vor."
"Die Aussage, nach den Erfahrungen des Senats könne der Beschwerdeführer als Makler ohne weiteres das zu Ehezeiten nachhaltig erzielte Nettoeinkommen von - nach Abzug des Erwerbstätigenbonus - 2.629,50 € erzielen, lässt - abgesehen davon, dass ein solches Nettoeinkommen durch Erwerbstätigkeit zuvor nie erzielt worden war - nicht erkennen, dass sich das Oberlandesgericht an den persönlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten des Beschwerdeführers und den tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt orientiert hat. Es erscheint wenig plausibel, anzunehmen, der Beschwerdeführer habe nach langer Krankheit im Alter von 55 Jahren und weiterhin bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen unmittelbar im Anschluss an die Beendigung seiner mehrjährigen Arbeitsunfähigkeit eine Beschäftigung als angestellter Makler zu dem vom Oberlandesgericht zugrunde gelegten weit überdurchschnittlichen Gehalt finden können."
Das bedeutet für alle, die mit fiktivem Einkommen beglückt werden: In den Urteilen ist genau zu prüfen, ob das Gericht die Voraussetzungen beachtet hat. Hat das Gericht diese Voraussetzungen geprüft und benannt? Oder wurde einfach nur gesagt, der Pflichtige müsse das Gegenteil beweisen? In letzterem Fall muss widersprochen werden! Ebenso, wenn die Voraussetzungen zwar auftauchen, aber unrealistisch sind. Nicht aufgeben, nichts hinnehmen, sondern fordern und verlangen. Arbeitet ein Richter mies, geht es die Instanzen hoch.
Gesprochen von der zweiten Kammer des ersten Senats (Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof), also nicht die Typen die normalerweise Familienrecht sprechen. Ganz leise ging es raus, keine Pressemeldung, keine Zeitungsartikel.
Die Sachlage:
Kläger ist "gelernter Bohrwerksdreher", steht nicht weit von der Rente, seit 2000 krank, Angestellter in der Firma der Ex gewesen, arbeitete ein paar Jahre als Versicherungsmakler. Seine Darlehen kann er nicht mehr bedienen. Frau liess sich scheiden und will -wen wunderts- Geld. Sie gewinnt in mehreren Verfahren, jedes mit höherem Ergebnis. In Gotha verurteilt man den Mann schliesslich zu 622,68 EUR Ehegattenunterhalt, beim OLG Thüringen wird er zu sagenhaften 758,77 EUR verurteilt, obwohl er nur noch Teilzeit arbeiten kann. Ihm wird dafür ein fiktives Einkommen von 2600 EUR brutto unterstellt und im späteren Verfahren sage und schreibe 3067,75 € netto, er müsse beweisen dass er nur noch weniger verdienen könne (wie?). Eine lange Litanei von "müsse" und "könnte".
Das Thüringer OLG wähnt sich besonders schlau und verwirft seine Anhörungsrüge als unbegründet und zu spät. Die dachten tatsächlich, sie könnten den fiktiv 3067,75 EUR teuren Champagner wirklich trinken, den sie in ihrem Wahn aufgemacht haben. Doch der Mann gibt nicht auf: Verfassungsbeschwerde. Und die wird tatsächlich angenommen. Sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG wäre verletzt worden. Ein paar Kernsätze aus dem Urteil:
"Der ausgeurteilte Unterhalt darf nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unterhaltspflichtigen führen (vgl. BVerfGE 57, 361 <388> unter Hinweis auf 35, 202 <221>). Wird die Grenze des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen (vgl. BVerfGE 57, 361 <381>)."
"Ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG liegt selbst dann vor, wenn man dem Oberlandesgericht darin folgt, der Beschwerdeführer habe sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht nicht ausreichend um eine besser bezahlte Tätigkeit bemüht und sein Gesundheitszustand stehe einer Vollzeitbeschäftigung nicht entgegen. Denn die Zurechnung fiktiver Einkünfte, welche die Leistungsfähigkeit begründen sollen, hat neben den fehlenden subjektiven Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners objektiv zur Voraussetzung, dass die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten überhaupt erzielbar sind, was von den persönlichen Voraussetzungen des Unterhaltsschuldners wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesundheitszustand und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängig ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1995 - XII ZR 231/94 -, FamRZ 1996, S. 345 <346>). Wird einem Unterhaltsschuldner die Erwirtschaftung eines Einkommens abverlangt, welches er objektiv nicht erzielen kann, liegt regelmäßig ein unverhältnismäßiger Eingriff in seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit vor."
"Die Aussage, nach den Erfahrungen des Senats könne der Beschwerdeführer als Makler ohne weiteres das zu Ehezeiten nachhaltig erzielte Nettoeinkommen von - nach Abzug des Erwerbstätigenbonus - 2.629,50 € erzielen, lässt - abgesehen davon, dass ein solches Nettoeinkommen durch Erwerbstätigkeit zuvor nie erzielt worden war - nicht erkennen, dass sich das Oberlandesgericht an den persönlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten des Beschwerdeführers und den tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt orientiert hat. Es erscheint wenig plausibel, anzunehmen, der Beschwerdeführer habe nach langer Krankheit im Alter von 55 Jahren und weiterhin bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen unmittelbar im Anschluss an die Beendigung seiner mehrjährigen Arbeitsunfähigkeit eine Beschäftigung als angestellter Makler zu dem vom Oberlandesgericht zugrunde gelegten weit überdurchschnittlichen Gehalt finden können."
Das bedeutet für alle, die mit fiktivem Einkommen beglückt werden: In den Urteilen ist genau zu prüfen, ob das Gericht die Voraussetzungen beachtet hat. Hat das Gericht diese Voraussetzungen geprüft und benannt? Oder wurde einfach nur gesagt, der Pflichtige müsse das Gegenteil beweisen? In letzterem Fall muss widersprochen werden! Ebenso, wenn die Voraussetzungen zwar auftauchen, aber unrealistisch sind. Nicht aufgeben, nichts hinnehmen, sondern fordern und verlangen. Arbeitet ein Richter mies, geht es die Instanzen hoch.