09-07-2012, 22:47
Das BverfG gibt eine Pressemeldung zu einem Verfahrens-Dreierpack heraus: http://www.bverfg.de/pressemitteilungen/bvg12-051.html
Die Fälle BVerfG 1 BvR 1530/11 und 1 BvR 2867/11 und 1 BvR 774/10 (Volltexte auf dem BVerfG-Server):
- ein körperbehinderter Vater mit einem Arm und ohne Berufsausbildung, der von ALG 2 lebt und vom Amtsgericht Köln, dann vom OLG Köln zu vollem Unterhalt verknackt wird.
- ein fast 50 Jahre alter Vater aus Ghana, kaum Deutschkenntnisse, beschäftigt als Küchenhilfe, zahlt 125 EUR Unterhalt, soll aber mehr zahlen, wird dann vom Amtsgericht und dann vom OLG Düsseldorf zu vollen Unterhalt verknackt.
- ein fast 60 Jahre alter Vater, 50% schwerbehindert, lebt von ALG 2 wird vom Amtsgericht Ludwigslust und dann OLG Rostock zu vollem Unterhalt verknackt.
Das BVerfG fordert vor seinem Entscheid jeweils Stellungnahmen der Landesregierungen an und kippt in seinen Beschlüssen alle drei AG/OLG Entscheide bzw. gibts Verfahrenskostenhilfe, um sie zu kippen.
Die Fälle sind insoweit ähnlich, dass den Pflichtigen jeweils unterstellt wurde, sich zu wenig um besser bezahlte Jobs und Nebenjobs bemüht zu haben und deshalb fiktives Einkommen zugerechnet zu bekommen.
Auffallend: Am BVerfG urteilten die Richter Gaier, Paulus, Britz, die 2. Kammer der ersten Senats. Damit sind die letzten paar Jahre zehn Entscheidungen zu fiktivem Einkommen gefallen, alle zehn haben die OLGs abgestraft, die mit fiktivem Einkommen um sich geworfen haben. Es handelt sich nicht mehr um Einzelfälle, sondern um einen eindeutigen Trend, den die unteren Gerichte nicht mehr wie bisher ignorieren können, ohne Gefahr zu laufen, damit auf die Schnauze zu fallen. Das BVerfG schafft fiktive Einkünfte nicht ab, aber es fordert Begründungen und nachvollziehbare konkrete Berechnungen statt die OLG-Textbausteine. Wichtig ist dabei die objektive Erzielbarkeit des Einkommens, das man dem Pflichtigen zurechnet:
"Die Zurechnung fiktiver Einkünfte, welche die Leistungsfähigkeit begründen sollen, setzt zweierlei voraus. Zum einen muss feststehen, dass subjektiv Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners fehlen. Zum anderen müssen die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten objektiv erzielbar sein, was von seinen persönlichen Voraussetzungen wie beispielsweise Alter, beruflicher Qualifikation, Erwerbsbiographie und Gesundheitszustand und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängt"
Die Begründung, der Pflichtige habe sich nicht um andere Stellen bemüht, ist einfach. Die Gerichte haben aber zusätzlich tragfähig zu begründen, wieso sie annehmen, dass der Pflichtige das Einkommen erwirtschaften kann, das sie ihm unterstellen. Dazu ist z.B. eine Rechnung nötig, eine Einkommenshöhe, die Begründung wieso der Pflichtige diese Einkommenshöhe "in Anbetracht seiner Ausbildung und seines beruflichen Werdegangs sowie im Hinblick auf sein Alter und seine krankheitsbedingten Einschränkungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt in der Lage ist, ein Einkommen in dieser Höhe zu erzielen." Abzuziehen sind auch von fiktiven Einkünften die 5% berufsbedingte Kosten und auch zwischen Brutto und Netto haben die Richter zu unterscheiden, für manche Robenträger offenbar ein unüberwindbares Hindernis.
Zu Nebentätigkeiten: "Sollen einem Unterhaltspflichtigen fiktive Nebenverdienste angerechnet werden, ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen, ob ihm die zeitliche und physische Belastung durch die zusätzliche Arbeit unter Berücksichtigung auch der Bestimmungen, die die Rechtsordnung zum Schutz der Arbeitskraft vorgibt, abverlangt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 5. März 2003 - 1 BvR 752/02 -, juris Rn. 11). Danach ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang es ihm unter Abwägung seiner von ihm darzulegenden besonderen Lebens- und Arbeitssituation sowie seiner gesundheitlichen Belastung mit der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten zugemutet werden kann, eine Nebentätigkeit auszuüben."
Die Amts- und OLG-Richter haben sich mit den Jahren in ihrem Wahn, alles und jeden zu vollem Unterhalt zu verurteilen in der Zurechnung fiktiver Einkünfte hoffnungslos verheddert, sie überspannt und waren nicht mehr in der Lage, ihren eigenen Richterbiotopsmief zu verlassen. Das BVerfG hat dieser absurden Entwicklung eine Bremse angelegt, was die gerügten OLGs gar nicht gerne sehen und bisher mit Missachtung gestraft haben. Doch das BVerfG legt nach und verliert allmählich die Geduld, diesmal auch mit ausführlichen Pressemeldungen, was die Wichtigkeit der Entscheidungen unterstreicht. Für Unterhaltspflichtige bedeutet das, bei der Zurechnung fiktiver Einkünfte niemals Vergleiche einzugehen, die Urteilsbegründungen sehr genau zu lesen und gegebenfalls auf dem Instanzenweg dagegen vorzugehen. Das Gericht hat eine genaue Rechnung zum Einkommen vorzulegen. Mittellosigkeit ist kein Hinderungsgrund, davor zurückzuschrecken, es kann auch um Prozesskostenhilfe gehen.
Andere in diesem Forum besprochenen Entscheidungen BVerfG zu fiktivem Einkommen:
http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...p?tid=3194
http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...p?tid=2983
http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...p?tid=2561
http://www.trennungsfaq.com/forum/showthread.php?tid=94
Vor allem: http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...hp?tid=416 und http://www.trennungsfaq.com/forum/showthread.php?tid=34
Thread zur jüngsten Entscheidung: http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...p?tid=6187
Die Fälle BVerfG 1 BvR 1530/11 und 1 BvR 2867/11 und 1 BvR 774/10 (Volltexte auf dem BVerfG-Server):
- ein körperbehinderter Vater mit einem Arm und ohne Berufsausbildung, der von ALG 2 lebt und vom Amtsgericht Köln, dann vom OLG Köln zu vollem Unterhalt verknackt wird.
- ein fast 50 Jahre alter Vater aus Ghana, kaum Deutschkenntnisse, beschäftigt als Küchenhilfe, zahlt 125 EUR Unterhalt, soll aber mehr zahlen, wird dann vom Amtsgericht und dann vom OLG Düsseldorf zu vollen Unterhalt verknackt.
- ein fast 60 Jahre alter Vater, 50% schwerbehindert, lebt von ALG 2 wird vom Amtsgericht Ludwigslust und dann OLG Rostock zu vollem Unterhalt verknackt.
Das BVerfG fordert vor seinem Entscheid jeweils Stellungnahmen der Landesregierungen an und kippt in seinen Beschlüssen alle drei AG/OLG Entscheide bzw. gibts Verfahrenskostenhilfe, um sie zu kippen.
Die Fälle sind insoweit ähnlich, dass den Pflichtigen jeweils unterstellt wurde, sich zu wenig um besser bezahlte Jobs und Nebenjobs bemüht zu haben und deshalb fiktives Einkommen zugerechnet zu bekommen.
Auffallend: Am BVerfG urteilten die Richter Gaier, Paulus, Britz, die 2. Kammer der ersten Senats. Damit sind die letzten paar Jahre zehn Entscheidungen zu fiktivem Einkommen gefallen, alle zehn haben die OLGs abgestraft, die mit fiktivem Einkommen um sich geworfen haben. Es handelt sich nicht mehr um Einzelfälle, sondern um einen eindeutigen Trend, den die unteren Gerichte nicht mehr wie bisher ignorieren können, ohne Gefahr zu laufen, damit auf die Schnauze zu fallen. Das BVerfG schafft fiktive Einkünfte nicht ab, aber es fordert Begründungen und nachvollziehbare konkrete Berechnungen statt die OLG-Textbausteine. Wichtig ist dabei die objektive Erzielbarkeit des Einkommens, das man dem Pflichtigen zurechnet:
"Die Zurechnung fiktiver Einkünfte, welche die Leistungsfähigkeit begründen sollen, setzt zweierlei voraus. Zum einen muss feststehen, dass subjektiv Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners fehlen. Zum anderen müssen die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten objektiv erzielbar sein, was von seinen persönlichen Voraussetzungen wie beispielsweise Alter, beruflicher Qualifikation, Erwerbsbiographie und Gesundheitszustand und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängt"
Die Begründung, der Pflichtige habe sich nicht um andere Stellen bemüht, ist einfach. Die Gerichte haben aber zusätzlich tragfähig zu begründen, wieso sie annehmen, dass der Pflichtige das Einkommen erwirtschaften kann, das sie ihm unterstellen. Dazu ist z.B. eine Rechnung nötig, eine Einkommenshöhe, die Begründung wieso der Pflichtige diese Einkommenshöhe "in Anbetracht seiner Ausbildung und seines beruflichen Werdegangs sowie im Hinblick auf sein Alter und seine krankheitsbedingten Einschränkungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt in der Lage ist, ein Einkommen in dieser Höhe zu erzielen." Abzuziehen sind auch von fiktiven Einkünften die 5% berufsbedingte Kosten und auch zwischen Brutto und Netto haben die Richter zu unterscheiden, für manche Robenträger offenbar ein unüberwindbares Hindernis.
Zu Nebentätigkeiten: "Sollen einem Unterhaltspflichtigen fiktive Nebenverdienste angerechnet werden, ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen, ob ihm die zeitliche und physische Belastung durch die zusätzliche Arbeit unter Berücksichtigung auch der Bestimmungen, die die Rechtsordnung zum Schutz der Arbeitskraft vorgibt, abverlangt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 5. März 2003 - 1 BvR 752/02 -, juris Rn. 11). Danach ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang es ihm unter Abwägung seiner von ihm darzulegenden besonderen Lebens- und Arbeitssituation sowie seiner gesundheitlichen Belastung mit der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten zugemutet werden kann, eine Nebentätigkeit auszuüben."
Die Amts- und OLG-Richter haben sich mit den Jahren in ihrem Wahn, alles und jeden zu vollem Unterhalt zu verurteilen in der Zurechnung fiktiver Einkünfte hoffnungslos verheddert, sie überspannt und waren nicht mehr in der Lage, ihren eigenen Richterbiotopsmief zu verlassen. Das BVerfG hat dieser absurden Entwicklung eine Bremse angelegt, was die gerügten OLGs gar nicht gerne sehen und bisher mit Missachtung gestraft haben. Doch das BVerfG legt nach und verliert allmählich die Geduld, diesmal auch mit ausführlichen Pressemeldungen, was die Wichtigkeit der Entscheidungen unterstreicht. Für Unterhaltspflichtige bedeutet das, bei der Zurechnung fiktiver Einkünfte niemals Vergleiche einzugehen, die Urteilsbegründungen sehr genau zu lesen und gegebenfalls auf dem Instanzenweg dagegen vorzugehen. Das Gericht hat eine genaue Rechnung zum Einkommen vorzulegen. Mittellosigkeit ist kein Hinderungsgrund, davor zurückzuschrecken, es kann auch um Prozesskostenhilfe gehen.
Andere in diesem Forum besprochenen Entscheidungen BVerfG zu fiktivem Einkommen:
http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...p?tid=3194
http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...p?tid=2983
http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...p?tid=2561
http://www.trennungsfaq.com/forum/showthread.php?tid=94
Vor allem: http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...hp?tid=416 und http://www.trennungsfaq.com/forum/showthread.php?tid=34
Thread zur jüngsten Entscheidung: http://www.trennungsfaq.com/forum/showth...p?tid=6187