13-01-2010, 22:37
BVerfG, Beschluss vom 29.10.2009, Az. 1 BvR 443/09 Volltext http://www.bundesverfassungsgericht.de/e...44309.html
"1300 Euro monatliches Nettoeinkommen für Aushilfstätigkeit kann nicht als realistisches Einkommen angenommen werden"
Der Fall ist einer der hunderttausend alltäglich-traurigen Fälle, in denen Väter rücksichtlos von Gerichten ruiniert werden. Das BVerfG lässt diesmal aber dem AG Heilbronn (bekannt durch überdurchschnittlich viele schwachsinnige Fehlurteile im Familienrecht, auch die Staatsanwaltschaft Heilbronn hat ein gerüttelt Mass an Katastrophen vorzuweisen), dem OLG Stuttgart und auch der Landesregierung Baden-Württemberg die Hosen runter, die sich entblödet hatte eine Stellungnahme abzugeben. Schön blamiert, Frau Landesregierung!
Der Vater hat sich bis zum Äussersten angestrengt. Er ist einer von denen, der dem Unterhaltsrecht wirklich entsprechen wollte und der offenbar unter äusserster Anspannung sowieso viel länger mehr gezahlt hat, als zumutbar war. Nach der Arbeitslosigkeit 2005 hat er noch dicke weitergezahlt, hat 2006 noch einen Titel unterzeichnet, dann ALG 2, hatte erst im November 2008 beim Amtsgericht Heilbronn den Termin, in dem ihm Prozesskostenhilfe für die Abänderung des Titels verweigert wurde, Beschwerde wurde verworfen, im Januar das OLG Stuttgart. Die hohen Richter gedachten, den Fall schnell abzuweisen und den Kläger damit finanziell dauerhaft totzuprügeln.
Man gibt zwar zu, er habe
Das BVerfG geht dem Fall nach und schreibt im bekannten belehrenden Stil, pfeift in seiner typischen, manchmal süffisanten Art durchaus allgemeinverständlich den Amts- und Oberlandesgerichten eins rein. Erst die Rechtsgrundlagen aufgeführt, wie in einer Juristen-Anfängervorlesung. Dann die Beurteilung des Falls:
"Vorliegend haben die Gerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, verfehlt. Die Auslegung und Anwendung des § 114 ZPO und des § 1603 BGB durch das Amtsgericht und das Oberlandesgericht halten einer rechtlichen Überprüfung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht stand." - rumms.
"Doch ist die pauschale Annahme überspannt, dem Beschwerdeführer werde in der Hauptsache aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Beweis gelingen, dass er bei entsprechenden Bemühungen um eine Aushilfstätigkeit, also letztlich als ungelernte Kraft, in der Lage sei, ein Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 1.300 € zu erwirtschaften. Bei Steuerklasse I ohne persönliche Freibeträge (1/2 Kinderfreibetrag) und den üblichen Abzügen für Steuern und Sozialversicherung müsste der Beschwerdeführer hierfür einen Bruttoverdienst von rund 2.000 € im Monat erzielen. Bei einer regulären Arbeitszeit von 170 Arbeitsstunden im Monat müsste der Beschwerdeführer also einen Bruttostundenlohn in Höhe von rund 11,75 € erhalten. Dies erscheint mit Blick auf die aktuellen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt - erst recht im Rahmen der summarischen Beurteilung der Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren - nicht realistisch.
Dies gilt umso mehr, als in den angegriffenen Entscheidungen keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen wurden, auf welcher Grundlage die Gerichte zu der Auffassung gelangt sind, der Beschwerdeführer könne mit einer Aushilfstätigkeit ein Nettoeinkommen von monatlich 1.300 € erzielen. Die Gerichte haben ihre eigene Sachkunde nicht näher dargelegt. Aus den angegriffenen Entscheidungen geht auch nicht hervor, dass die Gerichte sich mit dem derzeit mit einer Aushilfstätigkeit erzielbaren Einkommen, insbesondere den aktuellen Mindestlöhnen der verschiedenen Branchen auseinandergesetzt haben. Angesichts der aktuellen Mindestlöhne hätte es einer besonderen Begründung bedurft, dass der Beschwerdeführer mit einer Aushilfstätigkeit gleichwohl einen Bruttostundenlohn von knapp 12 € erzielen könne. Ohne nähere Begründung hätten die Gerichte aus den fehlenden Bemühungen des Beschwerdeführers um eine Aushilfstätigkeit - jedenfalls im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren - nicht auf seine volle Leistungsfähigkeit in Höhe des titulierten Kindesunterhalts schließen dürfen."
Im Fettdruck steht der Kern der Entscheidung und der besagt, dass die Beweislast für die vom Gericht behauptete (unrealistische) Einkommenshöhe durch Aushilfstätigkeiten dem Gericht obliegt. Die Richter haben zu begründen, wie sie zu ihren Annahmen kommen. Das BVerfG liefert auch gleich den Beweis mit, dass die Annahmen der Richter Schwachsinn waren und das tut es auf so beiläufige und schlüssige Weise, dass es damit nicht nur den juristischen, sondern auch den gesunden Menschenverstand der Heilbronner und Stuttgarter Richter anzweifelt.
Noch ein Schmankerl zum Schluss:
"Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem dargestellten Verfassungsverstoß. Es erscheint angezeigt, gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache dorthin zurückzuverweisen, weil dem Beschwerdeführer damit besser gedient ist; es liegt in seinem Interesse, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung über sein Prozesskostenhilfegesuch zu erhalten."
Ein Seitenhieb auf die bekannte Taktik vieler Gerichte, Termine erst zu verschleppen während der Pflichtige vor die Hunde geht und Beschwerden nach erfolgtem Unrecht um so schneller niederzuschmettern.
Das Schöne an diesen BVerfG-Urteilen/Beschlüssen ist auch, dass man sie fast 1:1 als Textvorlagen für eigenen Anträge nehmen kann, wie ich schon öfters vorgeschlagen habe. Kirchhof war auch als Richter dabei. Die Formulierungen riechen ein bisschen nach ihm, ich glaube er steht am meisten hinter dem Urteil. Komisch nur, dass diese kleine kurze Entscheidung erst jetzt rauskommt. Hat einer im Mittelbau verzögert? Kleiner Anruf einer Landesregierungssekretärin?
"1300 Euro monatliches Nettoeinkommen für Aushilfstätigkeit kann nicht als realistisches Einkommen angenommen werden"
Der Fall ist einer der hunderttausend alltäglich-traurigen Fälle, in denen Väter rücksichtlos von Gerichten ruiniert werden. Das BVerfG lässt diesmal aber dem AG Heilbronn (bekannt durch überdurchschnittlich viele schwachsinnige Fehlurteile im Familienrecht, auch die Staatsanwaltschaft Heilbronn hat ein gerüttelt Mass an Katastrophen vorzuweisen), dem OLG Stuttgart und auch der Landesregierung Baden-Württemberg die Hosen runter, die sich entblödet hatte eine Stellungnahme abzugeben. Schön blamiert, Frau Landesregierung!
Der Vater hat sich bis zum Äussersten angestrengt. Er ist einer von denen, der dem Unterhaltsrecht wirklich entsprechen wollte und der offenbar unter äusserster Anspannung sowieso viel länger mehr gezahlt hat, als zumutbar war. Nach der Arbeitslosigkeit 2005 hat er noch dicke weitergezahlt, hat 2006 noch einen Titel unterzeichnet, dann ALG 2, hatte erst im November 2008 beim Amtsgericht Heilbronn den Termin, in dem ihm Prozesskostenhilfe für die Abänderung des Titels verweigert wurde, Beschwerde wurde verworfen, im Januar das OLG Stuttgart. Die hohen Richter gedachten, den Fall schnell abzuweisen und den Kläger damit finanziell dauerhaft totzuprügeln.
Man gibt zwar zu, er habe
- seinen Arbeitsplatz betriebsbedingt und unverschuldet verloren
- sich auf zahlreiche Stellen in seinem Beruf, auch unterhalb seines Ausbildungsniveaus beworben zu haben
- überörtliche Bemühungen nachgewiesen zu haben
Das BVerfG geht dem Fall nach und schreibt im bekannten belehrenden Stil, pfeift in seiner typischen, manchmal süffisanten Art durchaus allgemeinverständlich den Amts- und Oberlandesgerichten eins rein. Erst die Rechtsgrundlagen aufgeführt, wie in einer Juristen-Anfängervorlesung. Dann die Beurteilung des Falls:
"Vorliegend haben die Gerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, verfehlt. Die Auslegung und Anwendung des § 114 ZPO und des § 1603 BGB durch das Amtsgericht und das Oberlandesgericht halten einer rechtlichen Überprüfung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht stand." - rumms.
"Doch ist die pauschale Annahme überspannt, dem Beschwerdeführer werde in der Hauptsache aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Beweis gelingen, dass er bei entsprechenden Bemühungen um eine Aushilfstätigkeit, also letztlich als ungelernte Kraft, in der Lage sei, ein Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 1.300 € zu erwirtschaften. Bei Steuerklasse I ohne persönliche Freibeträge (1/2 Kinderfreibetrag) und den üblichen Abzügen für Steuern und Sozialversicherung müsste der Beschwerdeführer hierfür einen Bruttoverdienst von rund 2.000 € im Monat erzielen. Bei einer regulären Arbeitszeit von 170 Arbeitsstunden im Monat müsste der Beschwerdeführer also einen Bruttostundenlohn in Höhe von rund 11,75 € erhalten. Dies erscheint mit Blick auf die aktuellen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt - erst recht im Rahmen der summarischen Beurteilung der Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren - nicht realistisch.
Dies gilt umso mehr, als in den angegriffenen Entscheidungen keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen wurden, auf welcher Grundlage die Gerichte zu der Auffassung gelangt sind, der Beschwerdeführer könne mit einer Aushilfstätigkeit ein Nettoeinkommen von monatlich 1.300 € erzielen. Die Gerichte haben ihre eigene Sachkunde nicht näher dargelegt. Aus den angegriffenen Entscheidungen geht auch nicht hervor, dass die Gerichte sich mit dem derzeit mit einer Aushilfstätigkeit erzielbaren Einkommen, insbesondere den aktuellen Mindestlöhnen der verschiedenen Branchen auseinandergesetzt haben. Angesichts der aktuellen Mindestlöhne hätte es einer besonderen Begründung bedurft, dass der Beschwerdeführer mit einer Aushilfstätigkeit gleichwohl einen Bruttostundenlohn von knapp 12 € erzielen könne. Ohne nähere Begründung hätten die Gerichte aus den fehlenden Bemühungen des Beschwerdeführers um eine Aushilfstätigkeit - jedenfalls im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren - nicht auf seine volle Leistungsfähigkeit in Höhe des titulierten Kindesunterhalts schließen dürfen."
Im Fettdruck steht der Kern der Entscheidung und der besagt, dass die Beweislast für die vom Gericht behauptete (unrealistische) Einkommenshöhe durch Aushilfstätigkeiten dem Gericht obliegt. Die Richter haben zu begründen, wie sie zu ihren Annahmen kommen. Das BVerfG liefert auch gleich den Beweis mit, dass die Annahmen der Richter Schwachsinn waren und das tut es auf so beiläufige und schlüssige Weise, dass es damit nicht nur den juristischen, sondern auch den gesunden Menschenverstand der Heilbronner und Stuttgarter Richter anzweifelt.
Noch ein Schmankerl zum Schluss:
"Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem dargestellten Verfassungsverstoß. Es erscheint angezeigt, gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache dorthin zurückzuverweisen, weil dem Beschwerdeführer damit besser gedient ist; es liegt in seinem Interesse, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung über sein Prozesskostenhilfegesuch zu erhalten."
Ein Seitenhieb auf die bekannte Taktik vieler Gerichte, Termine erst zu verschleppen während der Pflichtige vor die Hunde geht und Beschwerden nach erfolgtem Unrecht um so schneller niederzuschmettern.
Das Schöne an diesen BVerfG-Urteilen/Beschlüssen ist auch, dass man sie fast 1:1 als Textvorlagen für eigenen Anträge nehmen kann, wie ich schon öfters vorgeschlagen habe. Kirchhof war auch als Richter dabei. Die Formulierungen riechen ein bisschen nach ihm, ich glaube er steht am meisten hinter dem Urteil. Komisch nur, dass diese kleine kurze Entscheidung erst jetzt rauskommt. Hat einer im Mittelbau verzögert? Kleiner Anruf einer Landesregierungssekretärin?