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BGH XII ZR 150/06: Leiblicher Vater hat Null Rechte
#1
BGH, Urteil vom 30. 7. 2008, XII ZR 150/06

Kind wird geboren. Der momentane Freund der Mutter erkennt die Vaterschaft an, Mutter stimmt zu. Leiblicher Vater gibt ebenfalls Vaterschaftsanerkennung ab. Mutter verweigert Zustimmung. Leiblicher Vater geht vor Gericht und fordert ein Abstammungsgutachten. Familiengericht stimmt zu, OLG lehnt ab, BGH entscheidet schliesslich:

Zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind würde eine "sozial-familiäre Bindung" bestehen (§1600 Abs. 4 S. 1 BGB), die es dem grundsätzlich anfechtungsberechtigten leiblichen Vater verwehrt, die bestehende rechtliche Vaterschaft des anderen Mannes anzufechten.

Das OLG hatte die Existenz einer sozial-familiären Bindung bejaht mit der Begründung, es sei davon auszugehen, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind trage und damit eine sozial-familiäre Beziehung im Sinne des Gesetzes bestehe. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage sei nicht der Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern der letzten mündlichen Verhandlung.

Der Amtsermittlungsgrundsatz hilft auch nicht. Der Kläger habe keine objektiven Umstände vorgetragen, die gegen eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater sprächen. Der leibliche Vater hat also die Beweislast.


Das ist wieder eines der unzähligen BGH-Urteile, bei dem einem die Spucke wegbleibt. Es nutzt gnadenlos einen schlimmen, alten Webfehler des Rechts aus, der auch in der jüngsten Reform gegen den Rat vieler Familienrechtler beibehalten wurde. In anderem Zusammenhang (bei Scheinhehen) gibt es weitere negative Nebeneffekte.

Jedenfalls macht dieses Recht die Mutter zu alleinigen Bestimmungsberechtigten über die rechtliche Vaterschaft. Macht sie einen anderen Mann zum Vater, bleibt der leibliche Vater vollständig draussen vor der Tür. Verantwortung für sein Kind darf er gar nicht tragen, somit ist ihm die wichtigste Voraussetzung für eine Anfechtung verboten. Weiterhin soll er selbst beweisen, dass keine sozial-familiäre Bindung zwischen falschem Vater und Kind besteht, ein Ding der Unmöglichkeit für jemand der draussen zu stehen hat.

Somit fällt alles weg, kein Umgangsrecht, kein Elternrecht wie im Artikel 6 des Grundgesetzes postuliert, nichts. Rechtlich wird der Vater als ein vollkommen Fremder für das Kind behandelt. In Fällen, in denen er gar nicht weiss, dass er ein Kind hat, könnte er später das eigene Kind heiraten und Inzestkinder zeugen - das deutsche Recht und der BGH machts möglich. Familie ist das, was Mütter bestimmen und "Familiengeheimnisse" sind ebenfalls das, was Mütter als solche bestimmen. Sollte sie einmal später der Pelz jucken und sie doch noch auf die Idee kommen, Unterhalt vom leiblichen Vater wäre auch ganz nett, kann sie jederzeit auch gegen den Willen der beiden Männer das Pferd wechseln, den sozialen Vater mit einem Federstrich entvatern und den leiblichen Vater zum Unterhaltspflichtigen machen. Ihre Machtfülle ist gigantisch und reicht über biologische Tatsachen hinaus.
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#2
Noch vergessen: Der Volltext. Siehe hier: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bi...os=0&anz=1

Unterzeichnet von der altbekannten Fünferbande mit Hahne als Chefin.

Ein Witz ist auch, dass nicht einmal das Jugendamt angehört werden muss, obwohl es um einen für das Kind eminent wichtigen Umstand geht - die Existenz des eigenen Vaters. In jeden Mist wird das Jugendamt einbezogen - hier nicht. Das BGH walzt das selbstgefällig aus:

Entgegen der von der Revision in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bedurfte es insbesondere nicht einer Anhörung des Jugendamtes. Zwar hatte der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes eine solche Anhörung im Fall der Anfechtung durch den biologischen Vater vorgesehen, indem § 640 d ZPO um einen entsprechenden Absatz 2 ergänzt werden sollte (BT-Drucks. 15/2253 S. 6); dies ist jedoch nicht in das Gesetz übernommen worden.

Wir kennen das. So wie bei der ZPO-Reform, deren wenige Pluspunkte auf "magische" Weise nach eine Anhörung der Clique mit und um Salgo, Zenz & Co hinausgeflogen sind.

Wie zum Hohn hat sich der Staat selber kürzlich ein eigenes Anfechtungsrecht genehmigt (siehe Scheinehenproblem oben) und verlangt auch weitreichende Abstammungsnachweise in anderen Konstellationen. Ist es "nur" der Vater, gibts das alles nicht. Der BGH protzt sogar noch damit und schreibt es ausdrücklich ins Urteil:

Auch die seit dem 1. Juni 2008 geltende Neufassung des § 640 d ZPO schreibt die Anhörung des Jugendamtes in Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift nur für den Fall der Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB (Anfechtung durch die zuständige Behörde) vor.

Aus Staatssicht geht es nämlich um Geld, aus Vatersicht um das eigene Kind, einen Menschen. Selten offenbaren sich die Beweggründe von Staat und Recht so schamlos offen wie an diesem Beispiel.
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#3
Das ist ein echter Schlag ins Kontor. Leibliche Väter als wertlose Verfügungsmasse, beliebig austauschbar gegen jeden der den Finger hebt und "ich auch" ruft, wenn die Mutter es so will.
Willkür-Urteile wie dieses lassen sich nach meinem -zugegebenermaßen laienhaften- Rechtsverständnis beim besten Willen nicht mehr nachvollziehen und erinnern an Urteile von Richtern die man heute als Verbrecher bezeichnet. Hoffentlich geht der Vater zum Menschengerichtshof, und hoffentlich setzt der diesem Treiben ein Ende.
In der Presse hat man zu diesem Schandurteil natürlich wieder nichts gelesen...
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#4
(11-09-2008, 20:14)lordsofmidnight schrieb: In der Presse hat man zu diesem Schandurteil natürlich wieder nichts gelesen...

Und wenn, dann wäre die Überschrift "BGH stärkt Rechte verantwortungstragender Väter" drübergestanden.

Lustig wirds, wenn man das Urteil in andere Rechtsbereiche übersetzt, z.B. in die Welt der Arbeit. Wenn eine Stelle ausgeschrieben ist, für die beispielsweise die beiden juristischen Staatssxamen Voraussetzung sind, Volljurist genannt, z.B. ein Richterposten. Nun kommt ein Volljurist mit echten und ein Postbote mit gefälschten Zeugnissen daher, was auch der Arbeitgeber weiss. Der Postbote kriegt den Job aber trotzdem. Der unterlegene Bewerber mit echten Zeugnissen klagt dagegen. Und blitzt ab: Arbeitgeber und Lügenbewerber würden sich so gut verstehen, deshalb seien Voraussetzungen und Einsprüche irrelevant. Der unterlegene Bewerber müsse erstmal beweisen, dass der Lügenbewerber nichts taugt. Vielleicht wären seine Urteile als Richter gar nicht so schlecht, auch wenn er kein Volljurist ist. Er wäre es sowieso de facto spätestens dann, wenn er den Richterjob ausübt.

Oder bei einer Kneipe, an der steht "Eintritt für dunkelhäutige Rassenangehörige verboten". Der Farbige, dem der Eintritt verwehrt wird, klagt und wird abgewiesen: Der Türsteher habe ihn als Weissen bezeichnet und somit sei er gar nicht anfechtungsberechtigt, weil er dadurch ja nicht als farbig gilt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Grundgesetz sei nicht verletzt, schliesslich würden alle Weissen gleichbehandelt und das sei er ja nach Aussagen der Türsteher.
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#5
Durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Verstoss gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention erkannt, Deutschland zu Entschädigungszahlungen verurteilt. Mal sehen, wie das Familienrecht in diesem Punkt nun verändert wird.
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