06-07-2009, 16:15
BGH Aktenzeichen XII ZR 78/08 vom 27.5.2009, Volltext: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bi...93&Frame=2
War ja klar, wie hätte es anders sein können: Wer Unterhalt an die Ex zahlen muss, darf sein Einkommen nur noch um den Zahlbetrag, nicht um den Tabellenbetrag bereinigen. In der Praxis bedeutet das, dass der Kindergeldanteil für den Pflichtigen komplett in Form von Exenunterhalt zur Ex wandert.
Ein Beispiel: Vater verdient 1800 Euro netto, also durchschnittlich. War nicht verheiratet. Zwei Kinder, für die er in der niedrigsten Altersstufe unterhaltspflichtig ist, zusammen 592 EUR Zahlbetrag abzüglich des halben Kindergeldes 428 EUR. Der Ex steht Betreuungsunterhalt für sich zu. Dem BGH-Urteil nach ist der Vater für den Betreuungsunterhalt nicht mit 1800-592 = 1208 EUR leistungsfähig (minus Selbstbehalt), sondern mit 1372 EUR. Seine 2x82 = 164 EUR Kindergeld müssen also voll und ganz dem Unterhalt an die Ex zufliessen.
Das Urteil hat noch deutlich mehr Auswirkungen wie auf den ersten Blick sichtbar, nämlich beim Mehrbedarf, den der BGH kürzlich ebenfalls extrem für Betreuungskosten ausgeweitet hat. Auch dafür ist jetzt durch einen Federstrich plötzlich "mehr" unterhaltsrelevantes Einkommen vorhanden. Überhaupt alle, die auf den vielen Unterhaltsrängen nach den minderjährigen Kindern stehen, dürfen dadurch mehr kassieren.
Unter diesen Umständen schlage ich vor, den Verwendungszweck für das Kindergeld ehrlicher zu definieren, z.B. so: "Das Kindergeld eines Elternteils ist dafür da, damit Unterhalt an andere zu bezahlen. Es dient nicht dem Kind und nicht dem Elternteil".
Die meisten Punkte des 26-Seiten Urteils drehen sich um andere Fragestellungen, Wohnwerte, Verbrauchs- und Betriebskosten etc. Beim Kindergeld und der Frage nach Zahl- oder Tabellenbetrag unterschieden sich bisher die Oberlandesgerichte, in Düsseldorf wurde sogar innerhalb des OLGs anders entschieden - der 7. Familiensenat rechnete mit dem Tabellenbetrag, der 2. Senat mit dem Zahlbetrag. Der BGH argumentiert mit dem angeblichen bewussten Willen der Gesetzgeberin in der Unterhaltsrechtsreform und bewerte auch verfassungsrechtliche Fragen. Lapidar wird in den Raum gestellt: "Dass damit der nunmehr nachrangige Ehegattenunterhalt - als teilweise Kompensation des Nachrangs (vgl. BT-Drucks. 16/1830 S. 29) - teilweise erhöht worden ist, ist nicht sachwidrig.".
Es würde ja doch alles dem armen Kind zugute kommen, der betreuende Elternteil würde es auch nur fürs Kind einsetzen:
"Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung kann schon nicht als Regelfall unterstellt werden, dass der betreuende Elternteil seinen Kindergeldanteil etwa vollständig für eigene Zwecke verbraucht. Die alltägliche Kindesbetreuung stellt bekanntlich vielfältige Anforderungen, die auch mit diversen Kosten verbunden sind (z.B. Eintrittsgelder, Fahrten zu Kindergarten, Schule und Sportveranstaltungen, gelegentlicher Reitunterricht, Karussell auf der Kirmes etc.), welche nicht - wie etwa Kindergartenkosten - als Mehr- oder Sonderbedarf des Kindes unterhaltsrechtlich geltend gemacht werden können. Für die Beurteilung, ob die gesetzliche Differenzierung sachgemäß ist, kann demnach jedenfalls nicht die praktische Erfahrung außer Acht gelassen werden, dass auch der betreuende Elternteil seinen Kindergeldanteil ganz oder teilweise zugunsten seines Kindes verwendet, wobei eine dies etwa verbindlich anordnende gesetzliche Regelung schon wegen der Verschiedenartigkeit von Bar- und Betreuungsbedarf nicht in Frage gekommen wäre.
Dass das Unterhaltsrecht insoweit das Kindergeld nicht in dem gleichen Umfang heranzieht wie das Sozialrecht (so zutreffend Schürmann FamRZ 2008, 313, 324), macht die gesetzliche Regelung noch nicht verfassungswidrig. Auch das Steuerrecht trifft schließlich nur eine Entscheidung darüber, wie das Einkommen zu besteuern ist und dass das Kindergeld den Eltern als Steuervergütung (oder Sozialleistung) hälftig zugute kommen muss, wobei sich schon die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und die hälftige Kindergeldverteilung nicht entsprechen. Darüber hinaus regelt es ebenso wie bei der Einkommensentlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG aber nicht die Verwendung des dadurch freigewordenen Einkommens (vgl. Borth Unterhaltsrechtsänderungsgesetz Rdn. 341), so dass es dem Unterhaltsgesetzgeber unbenommen war, das freigewordene Einkommen als für den Ehegattenunterhalt einsetzbar zu erklären und dies durch die bedarfsdeckende Verwendung des Kindergelds in § 1612 b Abs. 1 BGB zum Ausdruck zu bringen.
Dass dem barunterhaltspflichtigen Elternteil infolge des teilweisen Verbrauchs des Kindergelds weniger Spielraum, etwa für Umgangskosten, verbleibt, ist anderweitig zu berücksichtigen, etwa durch einen - teilweisen - Abzug der Umgangskosten vom Einkommen oder eine Erhöhung des (Ehegatten-) Selbstbehalts (vgl. Senatsurteile vom 23. Februar 2005 - XII ZR 56/02 - FamRZ 2005, 706, 708 und vom 9. Januar 2008 - XII ZR 170/05 - FamRZ 2008, 594, 599 sowie Wendl/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 2 Rdn. 169).
Der letzte Absatz macht alles natürlich besonders absurd, wenn, so wie heute fast schon der Normalfall, sowieso schon fiktives Einkommen die Grundlage für den Kindesunterhalt ist. Die Gerichte erhöhen dann einen abgeschafften Selbstbehalt.
War ja klar, wie hätte es anders sein können: Wer Unterhalt an die Ex zahlen muss, darf sein Einkommen nur noch um den Zahlbetrag, nicht um den Tabellenbetrag bereinigen. In der Praxis bedeutet das, dass der Kindergeldanteil für den Pflichtigen komplett in Form von Exenunterhalt zur Ex wandert.
Ein Beispiel: Vater verdient 1800 Euro netto, also durchschnittlich. War nicht verheiratet. Zwei Kinder, für die er in der niedrigsten Altersstufe unterhaltspflichtig ist, zusammen 592 EUR Zahlbetrag abzüglich des halben Kindergeldes 428 EUR. Der Ex steht Betreuungsunterhalt für sich zu. Dem BGH-Urteil nach ist der Vater für den Betreuungsunterhalt nicht mit 1800-592 = 1208 EUR leistungsfähig (minus Selbstbehalt), sondern mit 1372 EUR. Seine 2x82 = 164 EUR Kindergeld müssen also voll und ganz dem Unterhalt an die Ex zufliessen.
Das Urteil hat noch deutlich mehr Auswirkungen wie auf den ersten Blick sichtbar, nämlich beim Mehrbedarf, den der BGH kürzlich ebenfalls extrem für Betreuungskosten ausgeweitet hat. Auch dafür ist jetzt durch einen Federstrich plötzlich "mehr" unterhaltsrelevantes Einkommen vorhanden. Überhaupt alle, die auf den vielen Unterhaltsrängen nach den minderjährigen Kindern stehen, dürfen dadurch mehr kassieren.
Unter diesen Umständen schlage ich vor, den Verwendungszweck für das Kindergeld ehrlicher zu definieren, z.B. so: "Das Kindergeld eines Elternteils ist dafür da, damit Unterhalt an andere zu bezahlen. Es dient nicht dem Kind und nicht dem Elternteil".
Die meisten Punkte des 26-Seiten Urteils drehen sich um andere Fragestellungen, Wohnwerte, Verbrauchs- und Betriebskosten etc. Beim Kindergeld und der Frage nach Zahl- oder Tabellenbetrag unterschieden sich bisher die Oberlandesgerichte, in Düsseldorf wurde sogar innerhalb des OLGs anders entschieden - der 7. Familiensenat rechnete mit dem Tabellenbetrag, der 2. Senat mit dem Zahlbetrag. Der BGH argumentiert mit dem angeblichen bewussten Willen der Gesetzgeberin in der Unterhaltsrechtsreform und bewerte auch verfassungsrechtliche Fragen. Lapidar wird in den Raum gestellt: "Dass damit der nunmehr nachrangige Ehegattenunterhalt - als teilweise Kompensation des Nachrangs (vgl. BT-Drucks. 16/1830 S. 29) - teilweise erhöht worden ist, ist nicht sachwidrig.".
Es würde ja doch alles dem armen Kind zugute kommen, der betreuende Elternteil würde es auch nur fürs Kind einsetzen:
"Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung kann schon nicht als Regelfall unterstellt werden, dass der betreuende Elternteil seinen Kindergeldanteil etwa vollständig für eigene Zwecke verbraucht. Die alltägliche Kindesbetreuung stellt bekanntlich vielfältige Anforderungen, die auch mit diversen Kosten verbunden sind (z.B. Eintrittsgelder, Fahrten zu Kindergarten, Schule und Sportveranstaltungen, gelegentlicher Reitunterricht, Karussell auf der Kirmes etc.), welche nicht - wie etwa Kindergartenkosten - als Mehr- oder Sonderbedarf des Kindes unterhaltsrechtlich geltend gemacht werden können. Für die Beurteilung, ob die gesetzliche Differenzierung sachgemäß ist, kann demnach jedenfalls nicht die praktische Erfahrung außer Acht gelassen werden, dass auch der betreuende Elternteil seinen Kindergeldanteil ganz oder teilweise zugunsten seines Kindes verwendet, wobei eine dies etwa verbindlich anordnende gesetzliche Regelung schon wegen der Verschiedenartigkeit von Bar- und Betreuungsbedarf nicht in Frage gekommen wäre.
Dass das Unterhaltsrecht insoweit das Kindergeld nicht in dem gleichen Umfang heranzieht wie das Sozialrecht (so zutreffend Schürmann FamRZ 2008, 313, 324), macht die gesetzliche Regelung noch nicht verfassungswidrig. Auch das Steuerrecht trifft schließlich nur eine Entscheidung darüber, wie das Einkommen zu besteuern ist und dass das Kindergeld den Eltern als Steuervergütung (oder Sozialleistung) hälftig zugute kommen muss, wobei sich schon die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und die hälftige Kindergeldverteilung nicht entsprechen. Darüber hinaus regelt es ebenso wie bei der Einkommensentlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG aber nicht die Verwendung des dadurch freigewordenen Einkommens (vgl. Borth Unterhaltsrechtsänderungsgesetz Rdn. 341), so dass es dem Unterhaltsgesetzgeber unbenommen war, das freigewordene Einkommen als für den Ehegattenunterhalt einsetzbar zu erklären und dies durch die bedarfsdeckende Verwendung des Kindergelds in § 1612 b Abs. 1 BGB zum Ausdruck zu bringen.
Dass dem barunterhaltspflichtigen Elternteil infolge des teilweisen Verbrauchs des Kindergelds weniger Spielraum, etwa für Umgangskosten, verbleibt, ist anderweitig zu berücksichtigen, etwa durch einen - teilweisen - Abzug der Umgangskosten vom Einkommen oder eine Erhöhung des (Ehegatten-) Selbstbehalts (vgl. Senatsurteile vom 23. Februar 2005 - XII ZR 56/02 - FamRZ 2005, 706, 708 und vom 9. Januar 2008 - XII ZR 170/05 - FamRZ 2008, 594, 599 sowie Wendl/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 2 Rdn. 169).
Der letzte Absatz macht alles natürlich besonders absurd, wenn, so wie heute fast schon der Normalfall, sowieso schon fiktives Einkommen die Grundlage für den Kindesunterhalt ist. Die Gerichte erhöhen dann einen abgeschafften Selbstbehalt.