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OLG Hamm 10 UF 12/08: Abänderungsklage fiktives Einkommen, Zukunftsprognose
#1
Urteil Oberlandesgericht Hamm, 10 UF 12/08 vom 25.06.2008
Volltext: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/...80625.html

Pflichtiger klagt erfolgreich auf Wegfall des Kindesunterhalts, zu dem er früher aufgrund fiktiven Einkommens (mangelnde Bewerbungsbemühungen) verurteilt wurde. Mittlerweile arbeitet er nämlich Vollzeit bei einer Zeitarbeitsfirma mit hoher Zeitbelastung. Er verdient da aber unter Selbstbehalt, da er auch Umgang wahrnehmen muss kann sei ihm eine Nebentätigkeit nicht zuzumuten. Auf besser bezahlte Jobs habe er sich auch beworben.

Das passt der Berechtigten natürlich nicht. Sie geht in Berufung. Das OLG gibt ihr statt und weist die Abänderungsklage "mangels Schlüssigkeit" zurück - der Pflichtige soll zahlen. Aus der Urteilsbegründung:

"Die Abänderungsklage nach § 323 ZPO dient dazu, die im abzuändernden Titel enthaltene Zukunftsprognose daran anzupassen, dass diese Prognose auf Grund einer nachträglichen Veränderung der Verhältnisse nicht mehr gerechtfertigt ist und deshalb nicht aufrechterhalten werden kann (vgl. zuletzt BGH, NJW 2008, 1525 = FamRZ 2008, 872 [873]).

Das kann der Fall sein, wenn die Parteien den Eintritt einer bestimmten Tatsache unterstellt haben, die sich tatsächlich so nicht eingestellt hat. Dabei bedarf der Gegenstand der unterstellten Tatsache genauer Betrachtung.

Sie betrifft hier unstreitig die Prognose, dass der Kl. bei gehörigen Bemühungen Erwerbseinkommen in einer den Mindestunterhalt ermöglichenden Höhe erzielen könnte. Daraus ergibt sich, dass es allein mit dem Vortrag des Kl., er verdiene inzwischen vollschichtig, dies ergebe jedoch keine Leistungsfähigkeit, nicht getan ist, solange er nicht vorgelagerte gehörige Erwerbsbemühungen dartut.

Bei einer Prognose der vorliegenden Art kann sich der Unterhaltsschuldner auf deren Nichteintritt nur berufen, wenn dies auf von ihm nicht beeinflussbaren Umständen beruht und er den Nichteintritt zudem nicht zu vertreten hat. Umstände, die seiner Risikosphäre zugeordnet sind, verbleiben in seiner gestaltenden Verantwortung.

Die Berufung auf den Nichteintritt der Prognose kann daher nur dann die Anpassung rechtfertigen, wenn er alles Erforderliche und Zumutbare für den unterstellten Eintritt getan hat und aus dem Grund nicht mehr an der Prognose festgehalten werden kann. Hatte die Unterhaltsregelung, wie hier, die Zurechnung eines fiktiven, zum damaligen Zeitpunkt nicht vorhandenen Erwerbseinkommens zum Gegenstand, so ist nachträglich nur dann eine Anpassung an tatsächliche Verhältnisse zu rechtfertigen, wenn der Pflichtige in der unterhaltsrechtlich gebotenen Weise darlegt und beweist, dass er gleichwohl keine Arbeitsstelle mit dem unterstellten Einkommen erlangen konnte (vgl. Senat, Beschl. v. 20. 1. 2006 - 10 WF 192/05)."



Es genügt also nicht, wieder Vollzeit zu arbeiten, sondern er hätte Bewerbungsbemühungen auf besser bezahlte Jobs en Detail nachweisen müssen. Andernfalls gilt die "Prognose" des Gerichts weiter, er könnte so viel verdienen dass er vollen Unterhalt zahlen kann.

Dasselbe Spiel wie immer, das "Recht" stellt irgendwelche Fiktionen auf und der Pflichtige muss haarklein in der Realität beweisen dass diese Fiktionen nicht erfüllbar sind. Wer sich unter diesen Umständen bemüht, offizielle Arbeit zu finden fährt besser wenn er entweder gar nichts macht oder sich nur auf gutbezahlte Jobs bewirbt. Die logischerweise prasselnden Absagen dem Gericht vorlegen. Dann arbeitet zwar arbeitet keiner und alle bleiben Hilfsempfänger, aber dem ach so sinnreichen "Recht" ist Genüge getan.
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#2
Ich denke, dass man das auch im Kontext der Kindesunterhaltshöhe von 199,- EUR sehen muss. Das ist meiner Meinung nach fast jedem zuzumuten - es geht nicht um den Unterhalt für die Mutter. Wie also hätte das Gericht die Klage auf Unterhaltsminderung abweisen können? Wenn die Verhältnisse anders wären und es um z.B. 1000,- EUR ginge, die auf 800,- abzuändern gewesen wären, hätte der Richter vielleicht anders entschieden.
Bzgl. der Urteilsfindung, kann man wohl sagen, dass die in solchen Fällen sowieso Ermessenssache ist, also willkürlich. Hat so ein Justiziar dann sein Urteil gefunden, kommt es nur noch darauf an, die Begründung ausreichend kompliziert zu gestalten, so dass ein Laie, wie die meisten von uns, das nicht mehr nachvollziehen kann. Und wenn dann noch Widerspruch aus den unseligen Reihen der nicht eingeweihten Rechtsamateure kommt, wird meist mit irgendwelchen Verfahrensvorschriften argumentiert, die man als nicht Jurist garantiert nicht mehr kennt.
https://t.me/GenderFukc
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#3
Ich stimme dir zu bis auf einen Punkt, die 199 EUR: "Das ist meiner Meinung nach fast jedem zuzumuten". Fakt ist, dass die Löhne real auf breiter Front gesunken sind, der Unterhalt jedoch gestiegen. Die Tarif-Monatslöhne für Vollzeitarbeit einiger Branchen brutto / netto (aus http://www.boeckler.de/, Zahlen 2008 oder 2007):

Friseur/-in Sachsen 755 EUR / 591 EUR, absoluter Mangelfall
Baugewerbe Ost, Kaufmännischer Angestellte/r 1537 EUR / 1059 EUR, Mangelfall
Baugewerbe Ost, Maschinenwerker/-in 1559 EUR / 1070 EUR, Mangelfall
Einzelhandel Lagerarbeiter, Abfüller, Verkaufshilfe, 1250-1750 EUR / ab 917 EUR, Mangelfall
Elektroinstallateur/-in NRW 1748 / 1160 EUR, bereinigtes Einkommen ist Mangelfall
Gärtner Thüringen 1067 EUR / 811 EUR, Mangelfall
Meister Thüringen 1434 EUR / 1011 EUR, Mangelfall
Arbeiter Galvaniseure, Graveure und Metallbildner, West und Ost 1591 EUR / 1085 EUR, Mangelfall
Öffentlicher Dienst Ost, Startgehalt Altenpflegehelfer, Arbeiter, Büroangestellter, Kinderpfleger etc. rund 1600 EUR / 1.089 EUR - Mangelfall!
Metallhandwerk Sachsen, Arbeiter 1299 EUR / 944 EUR - Mangelfall!
Ausgebildeter Schlosser 1487 EUR / 1036 EUR - Mangelfall!

Davon aber bitte noch 4% brutto für private Vorsorge und 5% vom Netto für berufsbedingte Aufwendungen abziehen ! Fakt ist: In nicht wenigen Teilen Deutschlands kommt man in sehr vielen Bereichen nicht zu einem Lohn für Vollzeitarbeit, der den Selbstbehalt für den untersten Kindesunterhaltssatz wahrt. Da es auch höhere Altersstufen mit deutlich höheren Sätzen und Berechtigte Mütter mit mehreren Kindern gibt, wundert es nicht dass der Grossteil der Pflichtigen bereits durch den Kindesunterhalt zum Mangelfall gemacht wird.
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#4
...und selbst diese niedrigen Tariflöhne werden längst nicht mehr überall bezahlt...
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#5
Hatte das BVerfG nicht mal entschieden, dass nicht mehr als 48h/Woche aufzuwenden sind und das auch nur, wenn die Tätigkeit nicht höheren geistigen Ansprüchen genügen muss?
Mir war so.
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#6
Das war das OLG Köln. Hier: http://www.trennungsfaq.com/forum/showthread.php?tid=16
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#7
Ich dachte eher an Teile wie diese:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/e...25307.html

http://www.bundesverfassungsgericht.de/e...23606.html

http://www.bundesverfassungsgericht.de/e...75202.html

Das sind zwar auch nicht die welche ich meine, aber immerhin, es gibt eine Reihe von solchen Grenzbeschreibenden Urteilen/Beschlüssen - auch den von dir verlinkten meinte ich übrigens nicht - ist bei der Masse aber schon fast egal.

Auf jeden Fall wollte ich damit zum Ausdruck bringen, dass ein Tag eben doch nach 24h zuende ist und kaum mehr als regelmäßig 40h/Woche verlangt werden.
Die 48h werte ich als Obergrenze.
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