09-10-2009, 19:09
BVerfG Beschluss vom 30.06.2009 - 1 BvR 1868/08
Volltext: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20...86808.html
Die streitenden Eltern haben zwei Kinder, Vater war immer sehr engagiert, sie trennen sich, wohnen aber in derselben Strasse, vor dem Amtsrichter vereinbaren sie im Oktober 2006 das Wechselmodell.
Der Mutter passt das aber nicht, sie beantragt die Alleinsorge, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Das Amtsgericht lehnt ab, bestätigt die bisherige Regelung in etwa. Die Alleinsorge der Mutter würde dem Kindeswohl nicht am besten entsprechen. Die Eltern hätten es bisher schliesslich hinreichend gut hinbekommen. Die Konflikte seien zwar da, aber eine Mediation und damit Verbesserungen sei möglich.
Der Mutter passt das wieder nicht, sie geht zum OLG Brandburg. Und endlich, der Volltreffer! Sorgerecht bekommt die Mutter allein. Was für ein Unterschied trotz identischer Fakten. Das Gericht attestiert dem Vater in einer mehrstündigen Sitzung "diktatorisch anmutende, egozentrische und wenig partnerschaftliche Verhaltensweisen, denen die Kindesmutter wenig entgegenzusetzen habe und auf die sie mit Rückzug und Vermeidungsstrategien reagiere". Ist schon ein interessanter "Rückzug", das alleinige Sorgerecht zu beantragen! Das Gericht feuert die tollsten Sätze ab: "Ausschlaggebend für die Entscheidung könne deshalb nur der Gesichtspunkt sein, der Dominanz des Beschwerdeführers in der Elternbeziehung ein rechtliches Gegengewicht gegenüber zu stellen, indem die rechtliche Position der Kindesmutter im Elternkonflikt verstärkt werde.". Interessanterweise meint das Gericht aber, das Wechselmodell solle weitergeführt werden. Eine ziemlich widersprüchliche Entscheidung.
Darauf die Verfassungsbeschwerde des Vaters. Er rügt, dass die Sorge nicht aus Kindeswohlgründen übertragen wurde, sondern wegen seiner angeblichen Dominanz. Ausserdem würde das Wechselmodell gut funktionieren, das beweise dass die Eltern gemeinsam in der Lage sind, zum Wohl der Kinder zu handeln. Die Kinder erklären ausdrücklich, das weiterführen zu wollen. Er nennt noch weitere Gründe.
Das BVerfG erklärt das Urteil des OLGs für verfassungswidrig und zwar mit einer vollen Argumentationsbreitseite. Die Begründung des OLGs wäre nicht nachvollziehbar, es habe weder das Ergebnis des Sachverständigengutachtens, noch die tatsächliche Betreuungs- und Lebenssituation der Kinder, noch deren bekundeten Willen auf Fortbestand der bestehenden Betreuungs- und Lebenssituation hinreichend berücksichtigt. Es folgen noch etwa fünf weitere sehr griffige Begründungen. Im Grund sagt das BVerfG, dass die OLG Richter total gepennt hätten, kein Gutachten gelesen, falsche Schlüsse gezogen, höchst einseitig geurteilt hätte und in allem die falschen Mittel gewählt hätte. Den Richtern wird rundweg der Kopf gewaschen.
Zum Schluss der Kostenentscheid, bei dem das BVerfG sparsam ist. Keine erhöhten Honorare, weil "Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hier Besonderheiten aufweisen".
Positiv an der ganzen Sache ist auf jeden Fall, dass kein Gericht das Wechselmodell als solches in Frage gestellt hat. Sie haben sich darum herumbewegt, nur das OLG hat der Mutter die Waffen in die Hand gegeben, es früher oder später zu beenden. Die Amtsrichter haben vorsichtig und sachkundig gearbeitet, an ihnen ist nichts auszusetzen. Das BVerfG stellt genaue Kriterium auf, was unter "Kindeswohl" zu verstehen ist und ruft noch einmal die grundsätzlichen Begründungen für Sorgerechtsentzüge auf, die beim OLG offenbar komplett in Vergessenheit geraten sind. Insgesamt wieder eine der vielen Entscheidungen, die zwar nichts verbessert, aber die Erosion und Verschlechterung tieferer Instanzen stoppt.
Volltext: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20...86808.html
Die streitenden Eltern haben zwei Kinder, Vater war immer sehr engagiert, sie trennen sich, wohnen aber in derselben Strasse, vor dem Amtsrichter vereinbaren sie im Oktober 2006 das Wechselmodell.
Der Mutter passt das aber nicht, sie beantragt die Alleinsorge, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Das Amtsgericht lehnt ab, bestätigt die bisherige Regelung in etwa. Die Alleinsorge der Mutter würde dem Kindeswohl nicht am besten entsprechen. Die Eltern hätten es bisher schliesslich hinreichend gut hinbekommen. Die Konflikte seien zwar da, aber eine Mediation und damit Verbesserungen sei möglich.
Der Mutter passt das wieder nicht, sie geht zum OLG Brandburg. Und endlich, der Volltreffer! Sorgerecht bekommt die Mutter allein. Was für ein Unterschied trotz identischer Fakten. Das Gericht attestiert dem Vater in einer mehrstündigen Sitzung "diktatorisch anmutende, egozentrische und wenig partnerschaftliche Verhaltensweisen, denen die Kindesmutter wenig entgegenzusetzen habe und auf die sie mit Rückzug und Vermeidungsstrategien reagiere". Ist schon ein interessanter "Rückzug", das alleinige Sorgerecht zu beantragen! Das Gericht feuert die tollsten Sätze ab: "Ausschlaggebend für die Entscheidung könne deshalb nur der Gesichtspunkt sein, der Dominanz des Beschwerdeführers in der Elternbeziehung ein rechtliches Gegengewicht gegenüber zu stellen, indem die rechtliche Position der Kindesmutter im Elternkonflikt verstärkt werde.". Interessanterweise meint das Gericht aber, das Wechselmodell solle weitergeführt werden. Eine ziemlich widersprüchliche Entscheidung.
Darauf die Verfassungsbeschwerde des Vaters. Er rügt, dass die Sorge nicht aus Kindeswohlgründen übertragen wurde, sondern wegen seiner angeblichen Dominanz. Ausserdem würde das Wechselmodell gut funktionieren, das beweise dass die Eltern gemeinsam in der Lage sind, zum Wohl der Kinder zu handeln. Die Kinder erklären ausdrücklich, das weiterführen zu wollen. Er nennt noch weitere Gründe.
Das BVerfG erklärt das Urteil des OLGs für verfassungswidrig und zwar mit einer vollen Argumentationsbreitseite. Die Begründung des OLGs wäre nicht nachvollziehbar, es habe weder das Ergebnis des Sachverständigengutachtens, noch die tatsächliche Betreuungs- und Lebenssituation der Kinder, noch deren bekundeten Willen auf Fortbestand der bestehenden Betreuungs- und Lebenssituation hinreichend berücksichtigt. Es folgen noch etwa fünf weitere sehr griffige Begründungen. Im Grund sagt das BVerfG, dass die OLG Richter total gepennt hätten, kein Gutachten gelesen, falsche Schlüsse gezogen, höchst einseitig geurteilt hätte und in allem die falschen Mittel gewählt hätte. Den Richtern wird rundweg der Kopf gewaschen.
Zum Schluss der Kostenentscheid, bei dem das BVerfG sparsam ist. Keine erhöhten Honorare, weil "Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hier Besonderheiten aufweisen".
Positiv an der ganzen Sache ist auf jeden Fall, dass kein Gericht das Wechselmodell als solches in Frage gestellt hat. Sie haben sich darum herumbewegt, nur das OLG hat der Mutter die Waffen in die Hand gegeben, es früher oder später zu beenden. Die Amtsrichter haben vorsichtig und sachkundig gearbeitet, an ihnen ist nichts auszusetzen. Das BVerfG stellt genaue Kriterium auf, was unter "Kindeswohl" zu verstehen ist und ruft noch einmal die grundsätzlichen Begründungen für Sorgerechtsentzüge auf, die beim OLG offenbar komplett in Vergessenheit geraten sind. Insgesamt wieder eine der vielen Entscheidungen, die zwar nichts verbessert, aber die Erosion und Verschlechterung tieferer Instanzen stoppt.