12-07-2011, 15:28
Urteil des Bundesgerichtshof vom 1. Juni 2011 Az. XII ZR 45/09
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main AG Königstein
Volltext: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bi...ame=4&.pdf
Leitsatz:
a) Ein Altersphasenmodell, das bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein oder wesentlich auf das Alter des Kindes, etwa während der Kindergarten- und Grundschulzeit, abstellt, wird den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht (im Anschluss an das Senatsurteil vom 30. März 2011 - XII ZR 3/09 - FamRZ 2011, 791).
b) Für die Betreuung des gemeinsamen Kindes ist grundsätzlich auch der barunterhaltspflichtige Elternteil in Betracht zu ziehen, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbietet. Wie bei der Ausgestaltung des Umgangsrechts nach § 1684 BGB ist auch im Rahmen des Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB maßgeblich auf das Kindeswohl abzustellen, hinter dem rein unterhaltsrechtliche Erwägungen zurück- treten müssen (im Anschluss an das Senatsurteil vom 15. September 2010 - XII ZR 20/09 - FamRZ 2010, 1880).
Der erste Teil ist nichts Neues. Der zweite Teil klingt schon interessanter.
Der Fall:
Man heiratet im Dezember 2004 (mit Ehevertrag, Gütertrennung, kein Versorgungsausgleich, Unterhaltsbegrenzung), einen Monat später bekommt die Frau mit 40 ein Kind. Und sofort trennt sie sich wieder, die Scheidung erfolgt prompt, das Kind bleibt -natürlich- bei der Mutter. Vater hat Umgang, will das zu einem Wechselmodell ausweiten, er ist mittlerweile im Vorruhestand. Er wurde bis zum OLG hoch verurteilt, insgesamt rund 2000 EUR Unterhalt pro Monat zu bezahlen und zwar auch ab Januar 2009. Das Kind ist zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre alt und geht problemlos in eine Ganztagesbetreuung 7:30 Uhr bis 16:30 Uhr, danach oft beim Vater. Eine richtig fette Sache also, allgemeines Händereiben bei Richtern, Anwälten und der Ex. Er geht dagegen in Revision und landet beim BGH.
Das OLG vorher spielt die altbekannte Platte, mit der Betreuungsunterhalt mal eben vervielfacht wurde: "Grundsätzliche Bedenken gegen eine achtstündige Fremdbetreuung bestünden nicht; diese werde auch von beiden Parteien gutgeheißen. Bei einer Öffnungszeit des Kindergartens von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr sei die Antragstellerin aber trotz der weiteren Betreuung durch den Antragsgegner schon rein rechnerisch nicht zu einer Vollzeitbeschäf- tigung mit einem Achtstundentag, einer halbstündigen Mittagspause und einer einfachen Fahrstrecke zum Arbeitsplatz von 45 Minuten in der Lage. Die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes ende nicht mit Kindergartenschluss. Kinder im Kindergartenalter benötigten eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Trotz der Fremdbetreuung könne die Erwerbsobliegenheit somit zu einer überobligatorischen Belastung führen. Zu berücksichtigen sei auch ein (erneuter) Gesellschaftswandel, wonach erwartet werde, dass sich die Eltern intensiv mit ihren Kindern beschäftigten und sie förderten. Nach den Unterhaltsgrundsätzen des Berufungsgerichts könne deswegen bis zur Beendigung der Grundschulzeit die Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit regelmäßig nicht erwartet werden. Entsprechend könne auch nach den Leitlinien des Oberlandesgerichts Schleswig bis zum Ablauf des dritten Grundschuljahres nur geringfügige bis halbschichtige Erwerbstätigkeit, vom vierten bis zum Ablauf des siebten Schuljahres grundsätzlich nur halbschichtige Erwerbstätigkeit und ab dem achten Schuljahr des Kindes jedenfalls eine Erwerbstätigkeit von 75 % bis zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit erwartet werden, sofern weder kind- noch elternbezogene Belange entgegenstünden."
Wechselmodell gibts laut OLG nicht: "Zwar strebe der Antragsgegner eine Ausweitung seines Umgangsrechts an, es bestehe aber keine unterhaltsrechtliche Obliegenheit, dieses Angebot anzunehmen." Und so weiter. Sie müsse nur 25 Stunden pro Woche arbeiten, wodurch sie leider nur 3200 EUR verdienen könne, das reicht natürlich nicht, deshalb Unterhalt, keine zeitliche Begrenzung, blablabla.
Der BGH lässt nicht alles davon gelten. Das Vater würde jetzt schon nach dem Kindergarten öfters betreuuen, was die Mutter entlasten würde. Grundsätzlich sei auch der barunterhaltspflichtige Elternteil als Betreuungsperson in Betracht zu ziehen, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbietet (Senatsurteil vom 15.September 2010 - XII ZR 20/09 - FamRZ 2010, 1880 Rn. 28; vgl. auch Empfehlung 5 des Arbeitskreises 2 des 18. Deutschen Familiengerichtstages). Durchgreifende Umstände gegen eine Umgestaltung des Umgangsrechts des Antragsgegners hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
"Ist - wie hier - der barunterhaltspflichtige Elternteil bereits im Vorruhestand und der betreuende Elternteil noch erwerbstätig, liegt es nahe, das Umgangsrecht mit einem Kindergartenkind so umzugestalten, dass dadurch der betreuende Elternteil entlastet und ihm eine Erwerbstätigkeit ermöglicht wird. Dass eine solche Umgestaltung des Umgangsrechts die jeweilige Rückkehr des Kindes zur Mutter erschweren könnte, hat das Berufungsgericht nicht konkret festgestellt.
Auch bei der Betreuung verkenne das Berufungsgericht den Wegfall des Vorrangs der persönlichen Betreuung mit Vollendung des dritten Lebensjahrs. Dies widerspricht außerdem der von den Eltern einvernehmlich ausgeübten Praxis."
Elternbezogene Gründe gibt es auch nicht. Nacheheliche Solidarität greift auch nicht bei einer nur Monate dauernden Ehe, man wollte von Beginn an eine Doppelverdienerehe führen, im Ehevertrag stehe sogar dass die Mutter nach dem ersten Jahr wieder arbeiten wolle. Die Unterhaltsberechnung sei auch in einigen Punkten falsch. Zurück mit dem Schaden ans Oberlandesgericht.
Wichtig erscheint mir der oben fett hervorgehobene Satz. Die pauschale, formelhafte Ablehnung des anderen Elternteils ist nicht mehr haltbar. Der BGH fordert konkrete Gründe, Ereignisse, Indizien, dass es dem Kind nicht gut tut, vom Vater ein paar Stunden nach dem Kindergarten betreut zu werden. Auch da gilt das Einzelfallprinzip. Mit diesem Prinzip lässt sich zwar alles begründen, aber im vorliegenden Fall sorgt es auch für erste Löcher in einer vorher massiven Mauer. Bei der üblichen Motivation der BGH-Urteile mag auch eine Rolle gespielt haben, dass mit dem Vater als Vorruheständler kein Umsatz mehr zu machen ist, während die Mutter durchaus noch Wirtschaftsleistung samt Steuern und Sozialabgaben erbringen kann. Ein Ruheständler und eine Teilzeitmami plus staatliche Vollzeitbetreuung, das war wohl sogar dem BGH zuviel des Kindergetüddels. Witzig, wie der BGH dem ihm peinlichen Begriff "Wechselmodell" vermeidet und auf "Umgestaltung des Umgangs" ausweicht. Auf dieses Feld wollte sich der BGH keinesfalls begeben.
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main AG Königstein
Volltext: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bi...ame=4&.pdf
Leitsatz:
a) Ein Altersphasenmodell, das bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein oder wesentlich auf das Alter des Kindes, etwa während der Kindergarten- und Grundschulzeit, abstellt, wird den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht (im Anschluss an das Senatsurteil vom 30. März 2011 - XII ZR 3/09 - FamRZ 2011, 791).
b) Für die Betreuung des gemeinsamen Kindes ist grundsätzlich auch der barunterhaltspflichtige Elternteil in Betracht zu ziehen, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbietet. Wie bei der Ausgestaltung des Umgangsrechts nach § 1684 BGB ist auch im Rahmen des Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB maßgeblich auf das Kindeswohl abzustellen, hinter dem rein unterhaltsrechtliche Erwägungen zurück- treten müssen (im Anschluss an das Senatsurteil vom 15. September 2010 - XII ZR 20/09 - FamRZ 2010, 1880).
Der erste Teil ist nichts Neues. Der zweite Teil klingt schon interessanter.
Der Fall:
Man heiratet im Dezember 2004 (mit Ehevertrag, Gütertrennung, kein Versorgungsausgleich, Unterhaltsbegrenzung), einen Monat später bekommt die Frau mit 40 ein Kind. Und sofort trennt sie sich wieder, die Scheidung erfolgt prompt, das Kind bleibt -natürlich- bei der Mutter. Vater hat Umgang, will das zu einem Wechselmodell ausweiten, er ist mittlerweile im Vorruhestand. Er wurde bis zum OLG hoch verurteilt, insgesamt rund 2000 EUR Unterhalt pro Monat zu bezahlen und zwar auch ab Januar 2009. Das Kind ist zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre alt und geht problemlos in eine Ganztagesbetreuung 7:30 Uhr bis 16:30 Uhr, danach oft beim Vater. Eine richtig fette Sache also, allgemeines Händereiben bei Richtern, Anwälten und der Ex. Er geht dagegen in Revision und landet beim BGH.
Das OLG vorher spielt die altbekannte Platte, mit der Betreuungsunterhalt mal eben vervielfacht wurde: "Grundsätzliche Bedenken gegen eine achtstündige Fremdbetreuung bestünden nicht; diese werde auch von beiden Parteien gutgeheißen. Bei einer Öffnungszeit des Kindergartens von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr sei die Antragstellerin aber trotz der weiteren Betreuung durch den Antragsgegner schon rein rechnerisch nicht zu einer Vollzeitbeschäf- tigung mit einem Achtstundentag, einer halbstündigen Mittagspause und einer einfachen Fahrstrecke zum Arbeitsplatz von 45 Minuten in der Lage. Die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes ende nicht mit Kindergartenschluss. Kinder im Kindergartenalter benötigten eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Trotz der Fremdbetreuung könne die Erwerbsobliegenheit somit zu einer überobligatorischen Belastung führen. Zu berücksichtigen sei auch ein (erneuter) Gesellschaftswandel, wonach erwartet werde, dass sich die Eltern intensiv mit ihren Kindern beschäftigten und sie förderten. Nach den Unterhaltsgrundsätzen des Berufungsgerichts könne deswegen bis zur Beendigung der Grundschulzeit die Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit regelmäßig nicht erwartet werden. Entsprechend könne auch nach den Leitlinien des Oberlandesgerichts Schleswig bis zum Ablauf des dritten Grundschuljahres nur geringfügige bis halbschichtige Erwerbstätigkeit, vom vierten bis zum Ablauf des siebten Schuljahres grundsätzlich nur halbschichtige Erwerbstätigkeit und ab dem achten Schuljahr des Kindes jedenfalls eine Erwerbstätigkeit von 75 % bis zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit erwartet werden, sofern weder kind- noch elternbezogene Belange entgegenstünden."
Wechselmodell gibts laut OLG nicht: "Zwar strebe der Antragsgegner eine Ausweitung seines Umgangsrechts an, es bestehe aber keine unterhaltsrechtliche Obliegenheit, dieses Angebot anzunehmen." Und so weiter. Sie müsse nur 25 Stunden pro Woche arbeiten, wodurch sie leider nur 3200 EUR verdienen könne, das reicht natürlich nicht, deshalb Unterhalt, keine zeitliche Begrenzung, blablabla.
Der BGH lässt nicht alles davon gelten. Das Vater würde jetzt schon nach dem Kindergarten öfters betreuuen, was die Mutter entlasten würde. Grundsätzlich sei auch der barunterhaltspflichtige Elternteil als Betreuungsperson in Betracht zu ziehen, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbietet (Senatsurteil vom 15.September 2010 - XII ZR 20/09 - FamRZ 2010, 1880 Rn. 28; vgl. auch Empfehlung 5 des Arbeitskreises 2 des 18. Deutschen Familiengerichtstages). Durchgreifende Umstände gegen eine Umgestaltung des Umgangsrechts des Antragsgegners hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
"Ist - wie hier - der barunterhaltspflichtige Elternteil bereits im Vorruhestand und der betreuende Elternteil noch erwerbstätig, liegt es nahe, das Umgangsrecht mit einem Kindergartenkind so umzugestalten, dass dadurch der betreuende Elternteil entlastet und ihm eine Erwerbstätigkeit ermöglicht wird. Dass eine solche Umgestaltung des Umgangsrechts die jeweilige Rückkehr des Kindes zur Mutter erschweren könnte, hat das Berufungsgericht nicht konkret festgestellt.
Auch bei der Betreuung verkenne das Berufungsgericht den Wegfall des Vorrangs der persönlichen Betreuung mit Vollendung des dritten Lebensjahrs. Dies widerspricht außerdem der von den Eltern einvernehmlich ausgeübten Praxis."
Elternbezogene Gründe gibt es auch nicht. Nacheheliche Solidarität greift auch nicht bei einer nur Monate dauernden Ehe, man wollte von Beginn an eine Doppelverdienerehe führen, im Ehevertrag stehe sogar dass die Mutter nach dem ersten Jahr wieder arbeiten wolle. Die Unterhaltsberechnung sei auch in einigen Punkten falsch. Zurück mit dem Schaden ans Oberlandesgericht.
Wichtig erscheint mir der oben fett hervorgehobene Satz. Die pauschale, formelhafte Ablehnung des anderen Elternteils ist nicht mehr haltbar. Der BGH fordert konkrete Gründe, Ereignisse, Indizien, dass es dem Kind nicht gut tut, vom Vater ein paar Stunden nach dem Kindergarten betreut zu werden. Auch da gilt das Einzelfallprinzip. Mit diesem Prinzip lässt sich zwar alles begründen, aber im vorliegenden Fall sorgt es auch für erste Löcher in einer vorher massiven Mauer. Bei der üblichen Motivation der BGH-Urteile mag auch eine Rolle gespielt haben, dass mit dem Vater als Vorruheständler kein Umsatz mehr zu machen ist, während die Mutter durchaus noch Wirtschaftsleistung samt Steuern und Sozialabgaben erbringen kann. Ein Ruheständler und eine Teilzeitmami plus staatliche Vollzeitbetreuung, das war wohl sogar dem BGH zuviel des Kindergetüddels. Witzig, wie der BGH dem ihm peinlichen Begriff "Wechselmodell" vermeidet und auf "Umgestaltung des Umgangs" ausweicht. Auf dieses Feld wollte sich der BGH keinesfalls begeben.