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LG Bielefeld vom 10.11.2011: Pflichtverteidiger Unterhaltspflichtverletzung
#1
Landgericht Bielefeld, Aktenzeichen 8 Qs 563/11
Beschluss vom 10.11.2011 der VIII. Strafkammer – Beschwerdekammer
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/bielef...11110.html

Bei Unterhaltspflichtverletzungsstrafverfahren ist ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Das Verfahren, um das es hier ging, lief gegen eine Mutter, eine seltene Kuriosität im Strafrecht. Bielefeld, wo auch von RA Rixe sitzt :-)

Volltext der Begründung:

Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegen vor. Nach dieser Vorschrift ist u. a. ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sachlage schwierig ist. Das ist hier der Fall. Der Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 29.03.2011 zur Last gelegt, ihre gegenüber ihren Kindern aus erster Ehe bestehende Unterhaltspflicht verletzt zu haben. § 170 StGB, gegen den die Angeschuldigte verstoßen haben soll, ist eine äußerst komplexe Vorschrift. Der Strafrichter hat ohne Bindung an vorliegende einschlägige zivilrechtliche Erkenntnisse die Unterhaltspflicht des Angeklagten, deren Verletzung ihm angelastet wird, der Höhe nach eigenverantwortlich festzustellen (vgl. OLG München, NStZ 2009, 212). Die Möglichkeit der Leistung ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Hierzu sind (bezifferte) Feststellungen über die Höhe der Einkünfte, anderweitige Verpflichtungen, Werbungskosten und sonstige Lasten sowie den Selbstbehalt des Verpflichteten erforderlich, denn der Täter muss tatsächlich zu einer mindestens teilweisen Leistung imstande sein, ohne seine eigene Existenz zu gefährden. Unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Lebensbedarfs der unterhaltsberechtigten Kinder sind weitergehende Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Kindesvaters erforderlich. Zu den für die Feststellungen der Unterhaltspflicht maßgebenden Tatsachen gehören auch die Umstände, welche die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber minderjährigen Kindern erweitern (§1603 Abs. 2 S.1 BGB) oder begrenzen (§ 1603 Abs. 2 S. 2 BGB; vgl. OLG Hamm, NStZ 2008, 342 m. w. N.). Es sind auch Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Vaters zu treffen, ungeachtet der Tatsache, dass er seinen Unterhaltsanteil hier wohl durch die Gewährung von Pflege und Erziehung erbringt (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB; vgl. OLG München, NStZ, aaO). Hiermit steht in Einklang, dass bei Unterhaltssachen vor dem Familiengericht Anwaltszwang herrscht, §§ 114 Abs. 1,111 Nr.8 FamFG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3 StPO analog.


Schon einem anderen Thread thematisiert. Mit dieser Begründung kann man für jedes Verfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung verlangen, einen Verteidiger beigeordnet zu bekommen. Erfreulich, treibt das doch die Kosten für die Justiz weiter in die Höhe. Das ist eine Spätfolge der fürs Unterhaltsrecht eingeführten Anwaltspflicht, die die Kosten für die Pflichtigen extrem in die Höhe getrieben hat. Der Staat bekommt somit ein bisschen von dem zurück, zu dem er mit leichter Hand Unterhaltspflichtige verdonnert hat (Kind und Ex bekommen häufig VKH, am Pflichtigen bleibt alles hängen).

Mit Verweis auf obigen Beschluss sollte man freilich auch grundsätzlich einen Pflichtverteidiger verlangen. Sich aber sich nicht auf ihn verlassen, denn Anwälte sind meistens genauso schimmerlos wie Richter bei diesem Delikt. Der Effekt ist mehr eine Kostenerhöhung für den Staat wie eine Verbesserung für den Angeklagten, der sich nach wie vor selbst kundig machen muss und seine Rechte durchsetzen.
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#2
(30-10-2013, 16:18)p schrieb: Erfreulich, treibt das doch die Kosten für die Justiz weiter in die Höhe.

Und wer bezahlt diese Kosten für die Justiz?
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#3
Zitat:Und wer bezahlt diese Kosten für die Justiz?

Eine bunte Mischung aus Steuerzahlern und "Sparern" die später enteignet werden. Warum?
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#4
Hier die Bestätigung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen §170:

Zitat:Ausfertigung
Aktenzeichen: AB 000/2013 Landgericht ORT
5 AB 0000 AB 0000/13 Amtsgericht ORT
0000 AB 0000/13 Staatsanwaltschaft ORT
Die 2. Große Strafkammer des Landgerichts ORT erlässt in dem Strafverfahren gegen

Blumentopferde, geboren am 00.00.0000 in ORT, wohnhaft: STRASSE, PLZ ORT

wegen

Verletzung der Unterhaltspflicht

am 00.00.2013 folgenden
Beschluss:
2. Auf die Beschwerde des Angeschuldigten Blumentopferde wird der Beschluss des
Amtsgerichts ORT vom 00.00.2013 dahingehend abgeändert, dass dem An-
geschuldigten Blumentopferde Rechtsanwalt ANWALTSNAME, ANWALTSANSCHRIFT, PLZ
ORT, als Pflichtverteidiger beigeordnet wird.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Ange-
schuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.


Gründe:
Dem Angeschuldigten ist wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ein
Pflichtverteidiger beizuordnen, § 140 Abs. 2 StPO.
Hintergrund für die Notwendigkeit einer Beiordnung ist die seitens der obergerichtli-
chen Rechtsprechung an die Gerichte gestellte erhebliche Feststellungslast, die ein
normaler Angeklagter nicht versteht bzw. an der er ohne einen Verteidiger nicht ent-
sprechend im Sinne einer vernünftigen Verteidigung mitwirken kann. So hat ein Straf-
richter ohne Bindung an vorliegende, einschlägige, zivilrechtliche Kenntnisse die Un-
terhaltspflicht des Angeklagten, deren Verletzung ihm angelastet wird, der Höhe
nach eigenverantwortlich festzustellen (OLG München, Beschluss vom 02.09.2008,
Az.: 5 St RR 160/08). Zudem bestimmt sich das Maß des zu gewährenden Unterhalts
nach der Lebensstellung der Bedürftigen, wobei für die Unterhaltsberechnung für
Kinder Bedarfstabellen berücksichtigt werden können, die im Urteil konkret anzuge-
ben sind. Zu den für die Feststellung der Unterhaltspflicht maßgebenden Tatsachen
gehören ferner auch die Umstände, die die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber
minderjährigen Kindern erweitern oder begrenzen, §§ 1603 Abs. 2 Satz 1 und 3
BGB. Dies betrifft insbesondere auch die Feststellungen über die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse der Mutter, ungeachtet der Tatsache, dass sie ihren Unter-
haltsanteil in der Regel durch die Gewährung von Pflege und Erziehung erbringt
(OLG München, a.a.O.). Nicht einfach sind auch die Feststellungen des Gerichts zur
Leistungsfähigkeit des Angeschuldigten zu treffen im Hinblick auf einen notwendigen
Mehrbedarf oder dem Selbstbehalt.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände kann daher von der Beiordnung eines
Pflichtverteidigers im zugrundeliegenden Fall nicht abgesehen werden (LG Bielefeld,
FamRZ 2012, 1175).
Der im Beschluss bestellte Verteidiger ist bereit, die Strafverteidigung für den Ange-
schuldigten zu übernehmen. Er wurde von diesem auch ausdrücklich ausgewählt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung von § 467 Abs. 1
StPO.

R1
Richterin am LG

R2
Richterin am LG

V1
Vorsitzender Richter am LG

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#5
Ich hab' beide Urteile auf Unterhaltspflichtverletzung eingestellt.
Schön wäre es, wenn @Blumentopferde wenigstens das Gericht namentlich erwähnen könnte, damit andere dort betroffene Väter nach hiesiger Veröffentlichung wissen, dass ihnen dort der Anspruch auf einen Pflichtverteidiger nicht vorenthalten wird ...
Aus dem Gericht ein Geheimnis zu machen, besteht doch kein Erfordernis Huh
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#6
werd ich zu gegebener zeit tun

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#7
also ich hab einen Pflichtverteidiger bestellt bekommen in München ... allerdings heisst das nicht viel, ausser dass man einen Pflichtverteidiger bekommen, dessen Kompetenz stelle ich doch sehr in Frage - da ich meine Verteidigung mehr oder weniger selbst vorbereite und vor allem selbst begründen musste warum dies oder jenes da der Strafrechtler sich damit nicht auskennt und gültige Urteile nicht kennt .... also suboptimal ...
gruß
malko 
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#8
Du kannst doch noch einen eigenen Anwalt mitbringen bzw. den Pflichtverteidiger ablehnen!

Noch ist das Verfahren nicht eröffnet, da dürfte es durch eine Ablehnung nicht zu Verzögerungen kommen
remember
Don´t let the bastards get you down!

and
This machine kills [feminists]! 
(Donovan)
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#9
Fallbesprechung -> http://www.trennungsfaq.com/forum/forumd....php?fid=2
Besprechung der hier eingestellten Urteile -> Hier im Thread
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