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Fragen zur Gesteigerten Erwerbsobliegenheit
#96
@Skipper: mir scheint, "iglu" will auf das hier hinweisen:

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 22.3.2012, B 4 AS 26/10 R

Streitgegenstand - Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Tilgung eines Mietkautionsdarlehen - Unzulässigkeit der Aufrechnung nach § 51 SGB 1 oder analog § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 - Unwirksamkeit der erwirkten Verzichtserklärung des Hilfebedürftigen - verfassungskonforme Auslegung

Leitsätze

Der Grundsicherungsträger kann eine Berechtigung zur Tilgung eines Mietkautionsdarlehens aus der laufenden Regelleistung weder unter dem Gesichtspunkt der Aufrechnung noch aus einer von ihm vorformulierten und erwirkten (Verzichts-)Erklärung des Leistungsberechtigten ableiten.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. November 2009 wird zurückgewiesen. Der Tenor des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Schleswig vom 29. Januar 2009 wird klarstellend wie folgt gefasst: Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. April 2008 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. März 2008 bis 31. August 2008 SGB II-Leistungen in der im Bewilligungsbescheid vom 4. März 2008 genannten Höhe ohne Tilgung zu leisten.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt ist, Tilgungsraten für ein Mietkautionsdarlehen von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 1.3.2008 bis 31.8.2008 einzubehalten.
2

Der laufend SGB II-Leistungen beziehende Kläger teilte dem Beklagten am 25.2.2008 seinen Umzug zum 1.3.2008 in eine am 22.2.2008 angemietete Wohnung mit. Er beantragte die Übernahme einer Mietkaution für die neue Wohnung in Höhe von 639 Euro als rückzahlbares Darlehen und unterzeichnete einen von dem Beklagten vorformulierten Vordruck, wonach er seine Rechte aus dem Anspruch aus der Mietkaution gegenüber seinem Vermieter an den Beklagten abtrete. Ferner heißt es in der "Abtretungserklärung" vom 25.2.2008: "Das Darlehen ist in Anlehnung an § 23 Abs 1 SGB II durch monatliche Tilgung in Höhe von mindestens 10 % der für die Bedarfsgemeinschaft zu zahlenden Regelleistung zu tilgen. Sollte diese monatliche Tilgung nicht geleistet werden, wird der Gesamtbetrag in einer Summe fällig."
3

Der Beklagte bewilligte die Mietkaution in Höhe von 639 Euro als Darlehen und teilte mit, das Darlehen sei gemäß der unterzeichneten Abtretungserklärung durch monatliche Raten in Höhe von 35 Euro zu tilgen. Sollte diese monatliche Tilgung nicht geleistet werden, werde der Gesamtbetrag in einer Summe fällig. Der Betrag von 35 Euro werde ab 1.3.2008 zur Tilgung des Darlehens einbehalten (Bescheid vom 4.3.2008). Mit weiterem Bescheid vom 4.3.2008 bewilligte der Beklagte SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1.3.2008 bis 31.8.2008 und behielt ab 1.3.2008 monatlich 35 Euro ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.4.2008 änderte er den Bescheid vom 4.3.2008 für die Zeit ab 1.6.2008 durch Ermäßigung der Tilgungsrate auf 17 Euro monatlich und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die Einbehaltung von 10 % - während des Erhalts eines Zuschlags nach § 24 SGB II - bzw 5 % der laufend gewährten Leistungen sei angemessen und verhältnismäßig, weil der belastenden Wirkung der Einbehaltung das Interesse des Sozialleistungsträgers an einer möglichst zeitnahen Rückführung von Darlehen und der Grundsatz der steuersparsamen Mittelverwendung gegenüberstünden. Würde ganz von einer Einbehaltung abgesehen, käme dies in einigen Fällen der Bewilligung einer Mietkaution als Zuschuss gleich, weil der Leistungsträger zwar durch die Abtretung einen Anspruch gegen den Vermieter auf Auszahlung der Mietkaution bei Beendigung des Mietverhältnisses habe, er sich aber auch etwaige Ansprüche des Vermieters aus dem privatrechtlichen Schuldverhältnis zwischen Vermieter und Mieter entgegenhalten lassen müsse, die teilweise zum Erlöschen des Auszahlungsanspruchs führten. Der Mieter habe es in der Hand, ob die Mietkaution wieder an ihn ausgezahlt werde oder nicht.
4

Das SG hat der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, die mit Bewilligungsbescheid vom 4.3.2008 für den Zeitraum 1.3.2008 bis 31.8.2008 zuerkannten monatlichen Leistungen ohne Einbehaltung von Teilbeträgen zur Tilgung des Darlehens zu zahlen (Gerichtsbescheid vom 29.1.2009). Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 25.11.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, richtige Klageart sei die echte Leistungsklage. Einer Aufhebung der Bescheide vom 4.3.2009 habe es nicht bedurft, weil die angegriffenen Einbehaltungen zur Tilgung des Mietkautionsdarlehens nicht durch Verwaltungsakt erfolgt seien. Die auf die Erklärung des Klägers vom 25.2.2008 gestützte Entscheidung des Beklagten, Teile der laufenden Leistungen nach dem SGB II zur Tilgung des Darlehens einzubehalten, sei als Aufrechnung anzusehen. Die Aufrechnungserklärung sei unwirksam, weil die gesamte Grundsicherungsleistung in Höhe von monatlich 760 Euro bis einschließlich 30.4.2008, 746,67 Euro für Mai 2008 und 680 Euro für die Zeit von Juni 2008 bis August 2008 unpfändbar gewesen sei und deshalb auch keine Aufrechnung habe erklärt werden können. Auch § 23 Abs 1 S 3 SGB II gebe dem Beklagten nicht das Recht zur Aufrechnung, weil die im Streit stehende Mietkaution keine Regelleistung im Sinne von § 20 SGB II sei, sondern zu den in § 22 SGB II geregelten Leistungen für Unterkunft und Heizung gehöre. Für eine analoge Anwendung der Vorschrift fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Gesetzesmaterialien, der Gesamtzusammenhang der §§ 20 ff SGB II mit ihren unterschiedlichen Regelungszwecken und die bereits unter Geltung des BSHG von der Rechtsprechung beanstandete Praxis der örtlichen Sozialhilfeträger, Mietkautionsdarlehen ohne explizite gesetzliche Grundlage durch regelmäßigen Einbehalt zu tilgen, sprächen dafür, dass der Gesetzgeber von einem tilgungsfreien (und zinsfreien) Darlehen ausgegangen sei. Der Beklagte könnte sich auch nicht auf die Erklärung vom 25.2.2008 als Rechtsgrund für eine Aufrechnung berufen. Ihm sei es in Anwendung des in § 242 BGB geregelten und über § 61 S 2 SGB X anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich auf eine solche Erklärung als Rechtsgrundlage für eine Aufrechnung zu berufen, wenn er selbst die rechtswidrige Rückzahlungsvereinbarung veranlasst habe. Dies stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Auch wenn man in der Tilgungsvereinbarung einen Verzicht iS des § 46 Abs 1 1. Halbs SGB I sehe, liege eine unzulässige Rechtsausübung vor, wenn dieser vom Leistungsträger rechtswidrig herbeigeführt worden sei. Der Beklagte habe die Mietkaution vorliegend unter der Bedingung gewährt, dass sich der Kläger zur Unterzeichnung der entsprechenden Erklärung verpflichte. Diese Tatsache stehe einer Berufung auf die Erklärung entgegen.
5

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, der Bescheid lasse sich auf § 22 Abs 3 S 3 SGB II iVm § 23 Abs 1 S 3 SGB II stützen. § 22 Abs 3 S 3 SGB II sei zu entnehmen, dass ein Zuschuss seitens des Gesetzgebers nicht gewollt sei. Die Norm enthalte keine Bestimmung darüber, dass lediglich eine Sicherung in Form einer Abtretung des Rückzahlungsanspruchs zu erfolgen habe. Da die Regelungen des SGB II den Leistungsbezug möglichst kurz halten sollten, erscheine es für die Leistungsverwaltung äußerst unökonomisch und praktisch kaum zu bewältigen, beim - ggf ehemaligen - Leistungsberechtigten regelmäßig nachzufragen, ob das Mietverhältnis gekündigt und die Mietkaution ausgezahlt worden sei. Die konkrete Form der Darlehensgewährung stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers. Die zum 1.4.2011 in Kraft getretene Regelung des § 42a SGB II belege, dass in dem streitigen Zeitraum eine Regelungslücke vorgelegen habe.
6

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. November 2009 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 29. Januar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.
8

Er trägt vor, aus dem Willen des Gesetzgebers ergebe sich lediglich, dass dieser keinen Zuschuss gewollt habe. Ein Darlehen werde nicht dadurch zu einem Zuschuss, dass es nicht während des Leistungsbezugs zwangsweise zurückgeführt werde. Die Abtretungserklärung habe er nicht freiwillig unterschrieben, sondern sich in einer Zwangslage befunden. Leistungsbezieher würden nicht darüber belehrt, dass die Mietkautionsdarlehen freiwillig zurückgeführt würden und gemäß § 46 Abs 1 SGB I der Verzicht auf Sozialleistungen jederzeit widerrufen werden könne.
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